Das fünfte Paar
Tests unterzogen und aus allen erdenklichen Winkeln fotografiert worden, die Bestandsaufnahmen der Knochen war abgeschlossen. Ich packte letztere gerade in eine Pappschachtel, als es draußen am Ende des Flurs klingelte. Ich hörte die Schritte des Nachtwächters, dann wurde die Hintertür geöffnet - und gleich darauf kam Marino herein.
»Schlafen Sie jetzt auch hier?« fragte er mit gutmütigem Spott.
Überrascht registrierte ich, daß sein Mantel und die Haare feucht waren.
»Es schneit«, beantwortete er meinen Blick.
»Das hat mir gerade noch gefehlt«, seufzte ich.
»Ganze Massen kommen runter, Doc. Ich fuhr vorbei und sah Ihren Wagen auf dem Hof stehen. Da Sie sicher schon seit Tagesanbruch hier sind, haben Sie bestimmt keine Ahnung davon, dachte ich mir.«
Als ich die Schachtel mit einem langen Streifen Klebeband verschloß, fiel mir etwas ein: »Ich denke, Sie haben dieses Wochenende keine Abendschicht.«
»Und ich denke, Sie haben vergessen, daß Sie mich für heute zum Dinner eingeladen hatten.«
Einen Augenblick lang starrte ich ihn verdutzt an - dann dämmerte es mir. »O nein!« stieß ich hervor und warf einen Blick auf die Uhr an der Wand: Es war schon nach acht! »Marino - es tut mir so leid!«
»Macht nichts - ich hatte sowieso noch ein paar Sachen zu erledigen.«
Ich erkannte immer, wenn er log: Er mied dann meinen Blick und wurde rot. Wie jetzt. Es war kein Zufall, daß er meinen Wagen im Hof gesehen hatte - es war ein Vorwand: Er hatte etwas auf dem Herzen.
»Ich meinte, es würde Sie vielleicht interessieren, daß Pat Harvey übers Wochenende in Washington war und den Director des FBI aufgesucht hat«, begann er.
»Haben Sie das von Benton?«
»Ja. Er sagte mir auch, er habe ständig versucht, Sie zu erreichen, aber Sie hätten nicht zurückgerufen. Die gleiche Klage käme von Mrs. Drogen-Zarin.«
»Ich habe überhaupt niemanden zurückgerufen«, erwiderte ich müde. »Ich war ziemlich beschäftigt - um es vorsichtig auszudrücken -, und ich habe im Moment keine Erklärungen abzugeben.«
Mit einem Blick auf die Schachtel sagte er: »Sie wissen, daß Deborah in den Rücken geschossen wurde. Es war Mord. Worauf warten Sie denn noch?«
»Ich weiß nicht, woran Fred gestorben ist und ob vielleicht Drogen im Spiel waren. Ich warte auf die toxikologischen Befunde und habe nicht die Absicht, mich zu äußern, bevor ich sie gesehen habe - und bevor ich bei Vessey war.«
»Dem Burschen vom Smithsonian?«
»Ich bin morgen vormittag bei ihm.«
»Wenn es so weiterschneit, wird das eine tolle Fahrt!«
»Sie haben mir noch nicht gesagt, aus welchem Grund Pat Harvey beim Director war.«
»Sie beschuldigt Sie, zu mauern - und dem FBI macht sie denselben Vorwurf. Sie ist stocksauer. Sie will alle Unterlagen über ihre Tochter - den Obduktionsbericht, den Polizeibericht, den ganzen Packen - und droht damit, einen Gerichtsbeschluß zu erwirken und jede Menge Wirbel zu veranstalten, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden.«
»Das ist doch verrückt.«
»Sie sagen es. Aber wollen Sie einen kleinen Rat von mir? Sie sollten sich entschließen, heute noch Benton anzurufen.«
»Und warum?«
»Ich möchte nicht, daß Sie in die Pfanne gehauen werden, das ist alles.«
»Wovon sprechen Sie um Himmels willen, Marino?« Ich band meinen OP-Kittel auf.
»Je mehr Sie sich abkapseln, um so mehr Öl gießen Sie ins Feuer. Laut Benton ist Mrs. Harvey überzeugt, daß eine Verschleierungsaktion läuft und wir alle mit drinhängen.«
Als ich nicht antwortete, fragte er: »Haben Sie gehört?«
»Jedes Wort.«
Er hob die Schachtel hoch. »Nicht zu glauben, daß da zwei Menschen reinpassen.«
Es war wirklich unglaublich: Die Schachtel war nicht größer als ein Mikrowellenherd und wog zehn bis zwölf Pfund. Als er sie in den Kofferraum meines Wagens stellte, murmelte ich: »Danke für alles.«
»Was?«
Ich wußte, daß er mich verstanden hatte - er wollte nur noch mehr hören. Ich tat ihm den Gefallen.
»Ich danke Ihnen für Ihre Sorge um mich, Marino. Ich weiß das sehr zu schätzen. Wirklich. Und es tut mir schrecklich leid wegen des Dinners. Ich mach's wieder gut.«
Ich schaute zu ihm auf und wunderte mich, daß mir seine Gegenwart so guttat. Er ging mir auf die Nerven wie niemand sonst - und doch konnte ich mir das Leben ohne ihn nicht vorstellen.
»Und wie wollen Sie das schaffen?«
»Mit Semifreddo di Cioccolata.«
»Ich hätte nicht gedacht, daß Sie so weit gehen würden.«
»Es ist
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