Das fünfte Paar
Freds Vater, neben sich sitzen. Sie sah erschreckend aus: Obwohl man im Fernsehen immer dicker wirkt, war zu erkennen, daß sie stark abgenommen hatte, und selbst das reichlich aufgetragene Make-up konnte die dunklen Ringe unter ihren Augen nicht überdecken.
»Wann begannen die Drohungen - und welcher Art waren sie, Mrs. Harvey?« fragte ein Reporter.
»Die erste kam kurz nachdem ich begonnen hatte, einige Wohltätigkeitsorganisationen zu überprüfen - vor etwas mehr als einem Jahr.« Der Klang ihrer Stimme erinnerte mich daran, daß Hilda Ozimek ihre Aura als grau beschrieben hatte. »Der Brief war an mein Haus in Richmond geschickt worden. Ich werde Ihnen nicht den Wortlaut wiedergeben, aber die Drohung war gegen meine Familie gerichtet.«
»Und Sie glauben, sie hing mit Ihren Nachforschungen in bezug auf ACTMAD und ähnliche Institutionen zusammen?«
»Das steht außer Frage. Es folgten weitere Drohungen - die letzte zwei Monate bevor meine Tochter und Fred Cheney verschwanden... «
Bruce Cheneys blasses Gesicht füllte den Bildschirm aus. Geblendet blinzelte er in die Scheinwerfer.
»Mrs. Harvey...« »Mrs. Harvey...« Die Reporter fielen einander ins Wort.
Und plötzlich hatte Pat Harveys Stimme eine erstaunliche Kraft: Resolut brachte sie die Journalisten zum Schweigen. Die Kamera richtete sich wieder auf sie. »Das FBI war über die Situation im Bilde, und es vertrat die Ansicht, daß alle Drohbriefe aus ein und derselben Quelle stammten«, sagte sie.
»Mrs. Harvey...«
»Mrs. Harvey«, setzte sich eine Reporterin lautstark durch. »Es ist kein Geheimnis, daß Sie und das Justizministerium unterschiedliche Ziele verfolgen - daß Ihre Recherchen hinsichtlich der Wohltätigkeitsorganisationen zu einer Kontroverse geführt haben. Halten Sie es für möglich, daß sich das negativ auf das Engagement des FBI bei der Aufklärung des Mordes an Ihrer Tochter auswirken könnte?
»Ich bin sogar davon überzeugt.«
»Sie bezichtigen also das Justizministerium der Inkompetenz!«
»Ich bezichtige das Justizministerium der Verschwörung.«
Atemlos beugte ich mich vor, als das Stimmengewirr zum Tumult anschwoll. Das ist ihr Ende, dachte ich, fassungslos auf den Bildschirm starrend. Aber es kam noch schlimmer. Entsetzen erfaßte mich, als Pat Harvey mit eisigem Blick jedem, der an der Untersuchung der Morde beteiligt war, das Schwert in den Leib rammte - einschließlich meiner Person. Sie ließ keinen und nichts aus - auch nicht die Informationen über den Herzbuben! Es war eine maßlose Untertreibung von Wesley gewesen, sie als "unkooperativ" und "ein Problem" zu bezeichnen. Zorn und Gram hatten diese Frau völlig unberechenbar gemacht.
Wie betäubt hörte ich zu, wie sie die Polizei, das FBI und das Büro des Medical Examiners einer gemeinschaftlichen Verschleierung beschuldigte.
»Sie halten die Wahrheit über die Morde geheim«, sagte sie. »Ein Vorgehen, das ausschließlich ihren eigenen Interessen dient und zur gewissenlosen Opferung von Menschenleben führt.«
»Was für ein Haufen Scheiße«, murmelte Fieldings, mein Stellvertreter, der neben mir in der kleinen Bibliothek unseres Büros saß.
»Welche Morde meinen Sie?« fragte ein Reporter. »Die an Ihrer Tochter und deren Freund - oder beziehen Sie sich auch auf die vier anderen Paare?«
»Auf alle«, antwortete Pat Harvey. »Ich beziehe mich auf all die jungen Männer und Frauen, die wie Tiere gejagt und ermordet wurden...«
»Und was wird verschleiert?«
»Die Identität oder Identitäten des oder der Verantwortlichen. Das Justizministerium hat nichts unternommen, um den Morden Einhalt zu gebieten. Die Gründe dafür sind politischer Natur. Eine gewisse Bundesbehörde schützt ihre Interessen.«
»Könnten Sie das bitte spezifizieren?« rief eine Stimme.
»Wenn meine Nachforschungen abgeschlossen sind, werde ich alles enthüllen.«
»Wollen Sie sagen, daß der Mord an Deborah und ihrem Freund... «
»Sein Name ist Fred!« Bruce Cheney hatte das geschrien - und sofort schwenkte die Kamera auf ihn.
Plötzlich war es sehr still.
»Fred. Sein Name ist Frederick Wilson Cheney.« Seine Stimme zitterte. »Er ist nicht nur "Deborahs Freund"! Er ist tot - auch ihn hat man ermordet! Meinen Sohn!« Er senkte den Kopf, um seine Tränen zu verbergen.
Ich schaltete den Fernseher aus: Es war mir unmöglich, dieses Horrorspektakel länger mit anzusehen.
Rose, die an der Tür gestanden und ebenfalls zugesehen hatte, schaute mich besorgt an.
Fieldings
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