Das fünfte Paar
er zur erbarmungslosen Verurteilung einer Frau benutzt, die einige noch vor kurzem für die mögliche künftige Vizepräsidentin gehalten hatten. Ich betrachtete Pat Harveys Aussagen auf der Pressekonferenz als höchst unklug und mehr als voreilig - aber ich fand es merkwürdig, daß keiner der Journalisten auch nur den Versuch gemacht hatte, eine Bestätigung ihrer Anschuldigungen zu finden. Die Reporter schienen diesmal nicht gewillt, sich bei Regierungsbeamten die üblichen Ausflüchte zu beschaffen, die sie sonst mit so viel Genuß interpretierten. Das einzige Angriffsziel der Medien war Mrs. Harvey - und ihr wurde keine Gnade gewährt. Die Überschrift eines Artikels lautete "Slaughtergate?". Sie wurde lächerlich gemacht - nicht nur mit Worten, sondern auch in Karikaturen. Eine der meistrespektierten Persönlichkeiten des Landes wurde als Hysterikerin abqualifiziert, deren »Informationsquellen« eine Hellseherin aus South Carolina einschlossen. Selbst ihre engsten Verbündeten distanzierten sich von ihr, und ihre Feinde machten sie auf subtile Weise fertig, indem sie ihre Attacken mit Mitleid tarnten. »Im Licht des schrecklichen Verlustes gesehen, den sie erlitten hat, ist ihr Verhalten verständlich«, sagte ein Demokrat und fügte scheinheilig hinzu: »Ich halte es für angebracht, darüber hinwegzusehen. Betrachten wir ihre Anschuldigungen als die Reaktion einer zutiefst erschütterten Seele.« Ein anderer meinte: »Pat Harvey ist ein tragisches Beispiel für eine Selbstzerstörung, die durch ein privates Problem hervorgerufen wurde, das zu schwerwiegend war, um von ihr bewältigt zu werden.«
Ich spannte Deborahs Autopsiebericht in die Schreibmaschine, löschte in den Rubriken »Todesart« und »Todesursache« die Bemerkung »unklar« und tippte »Mord« und »Verbluten infolge einer Schußwunde im Lendenwirbelbereich und vermutlicher Schnittverletzungen« hin. Dann legte ich den Totenschein und das CME-1 Protokoll dazu und machte mich auf den Weg zum Fotokopierer.
Mit einem Begleitbrief, in dem ich meine Ergebnisse erläuterte und mich für die Verspätung entschuldigte, die ich mit dem langen Warten auf die Resultate der toxikologischen Tests (die noch nicht endgültig seien) begründete, steckte ich die Kopien in einen Umschlag und machte ihn postfertig. So viel konnte ich für Benton tun: Pat Harvey würde nicht von mir erfahren, daß Wesley mich hatte überreden wollen, die Fälle auf unbestimmte Zeit zu verschleppen und ihr die Ergebnisse der Untersuchung ihrer Tochter vorzuenthalten.
Die Harveys würden alles bekommen: meine Erkenntnisse im Groben und Mikroskopischen, die Information, daß die bisherigen toxikologischen Tests negativ verlaufen waren, die Fakten des Einschusses in Deborahs Wirbelsäule und der Verletzung an ihrem Zeigefinger und schließlich die detaillierte Beschreibung ihrer Kleidung - oder dessen, was davon noch übrig gewesen war. Die Cops hatten ihre Ohrringe, ihre Uhr und den Freundschaftsring gefunden, den sie an ihrem letzten Geburtstag von Fred bekommen hatte.
Anschließend stellte ich Kopien von Fred Cheneys Untersuchungsberichten zusammen: Ich würde sie seinem Vater schicken, obwohl ich ihm nicht mehr sagen konnte, als daß sein Sohn ermordet worden sei, ich jedoch nicht wisse, auf welche Weise. Dann griff ich zum Telefonhörer und wählte Benton Wesleys Büronummer. Vergeblich. Ich versuchte es bei ihm zu Hause.
»Ich gebe die Unterlagen raus«, eröffnete ich ihm, als ich ihn an der Strippe hatte. »Ich wollte Ihnen fairerweise Bescheid sagen.«
Schweigen.
Dann sagte er: »Kay - haben Sie die Pressekonferenz gesehen?«
»Ja.«
»Und haben Sie auch die heutigen Zeitungen gelesen?«
»Ich habe die Pressekonferenz gesehen und sämtliche Zeitungen gelesen. Es ist mir durchaus klar, daß Pat Harvey sich in den Fuß geschossen hat..
»Ich fürchte, sie hat sich in den Kopf geschossen.«
»Aber nicht ohne Hilfe.«
Nach einer langen Pause fragte Wesley: »Was meinen Sie da, mit?«
»Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen das im Detail zu erklären. Heute abend. Von Angesicht zu Angesicht.«
»Hier?« Er klang alarmiert.
»Ja.«
»Äh - das ist keine gute Idee. Heute abend paßt es mir gar nicht.«
»Darauf kann ich leider keine Rücksicht nehmen.«
»Kay - Sie verstehen nicht. Vertrauen Sie mir...
»Nein, Benton«, schnitt ich ihm das Wort ab. »Diesmal nicht.«
10
Die dunklen Silhouetten der Bäume schüttelten sich im Wind, und das fahle Licht des
Weitere Kostenlose Bücher