Das fünfte Paar
Schnauze mit Draht zu!« Er lächelte verlegen. »Und irgendwann dachte er dann, das wäre sein Name - und von da anrief ich ihn so.«
Mr. Joyce war bis zu seiner Pensionierung Fahrdienstleiter bei einer Zementfabrik gewesen. Sein Haus lag wie ein Denkmal ländlicher Armut inmitten von Farmland. Ich vermutete, daß der ursprüngliche Besitzer ein Pachtbauer gewesen war, denn auf beiden Seiten erstreckten sich brachliegende Felder, von denen Mr. Joyce erzählte, sie würden mit Mais bebaut, der im Sommer übermannshoch sei.
Es war auch Sommer gewesen - eine schwülheiße Julinacht -, als man Bonnie Smyth und Jim Freeman gezwungen hatte, diese einsame, unbefestigte Straße entlangzufahren. Dann war es November geworden, und ich war über ebendiese Straße gefahren, den Kofferraum voll mit zusammengefalteten Plastikplanen, Tragbahren und Leichensäcken: Weniger als drei Kilometer östlich von Mr. Joyces Haus lag das dichte Waldgebiet, in dem man vor mehr als zwei Jahren die Leichen der beiden jungen Leute gefunden hatte.
»Erzählen Sie, was mit Dammit passierte«, forderte Marino sein Gegenüber auf und zündete sich eine Zigarette an.
»Es war an einem Wochenende«, erzählte der alte Mann, »Mitte August. Ich hatte alle Fenster offen und saß im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Es gab "Dallas". Das kam damals immer freitag abends um neun.«
»Dann wurde zwischen neun und zehn auf Ihren Hund geschossen«, folgerte Marino.
»Nehme ich an: Wenn es früher passiert wäre, hätte er es sicher nicht mehr bis nach Hause geschafft, denn das hätte bedeutet, daß er einen langen Heimweg gehabt hätte. Ich sitze also beim Fernsehen, und da höre ich ihn plötzlich an der Tür kratzen und winseln. Ich dachte mir gleich, daß er verletzt wäre, daß er vielleicht eine Rauferei mit einer Katze gehabt hätte - bis ich ihn sah.« Er holte ein Päckchen Tabak hervor und begann sich mit geübten, ruhigen Händen eine Zigarette zu drehen.
»Was taten Sie dann?« fragte Marino.
»Ich packte ihn in meinen Wagen und fuhr zu Dr. Whiteside. Der wohnt ungefähr acht Kilometer nordwestlich.«
»Ein Tierarzt?« erkundigte ich mich.
Mr. Joyce schüttelte den Kopf. »Nein, Ma'am - ich kannte gar keinen Tierarzt. Der Doc hat meine Frau behandelt-bis sie starb. Ein wirklich netter Bursche. Ich wußte nicht, zu wem ich sonst gehen sollte. Natürlich war es zu spät: Als ich den Hund in die Praxis trug, konnte er nichts mehr für ihn tun. Er sagte, ich solle die Polizei anrufen, es wäre im Moment keine Jagdzeit - außer auf Krähen - und nachts wäre bestimmt niemand unterwegs, um Krähen zu schießen. Ich tat, was er sagte: Ich ging zur Polizei - Telefon hab' ich ja keins.«
»Haben Sie einen Verdacht, wer auf Ihren Hund geschossen haben könnte?« fragte ich.
»Ich habe mir damals alles mögliche überlegt. Dammit jagte oft Leute und Autos, biß in die Reifen, und ich dachte, da hätte vielleicht einer losgeballert. Als der Hund dann untersucht worden war, sagte man mir, daß die Kugeln aus einem Revolver stammten - und da dachte ich, daß Dammit vielleicht ein Polizeiauto gejagt und der Fahrer ihn sich vorgenommen hätte.«
»Ist an dem Abend damals ein Polizeiwagen vorbeigefahren?«
»Weiß ich nicht - ich hab' ja nicht draußen gestanden. Aber wer immer Dammit erwischt hat, muß ein Ende weggewesen sein - sonst hätte ich die Schüsse gehört.«
»Vielleicht nicht - wenn Sie den Fernseher laut gestellt hatten«, gab Marino zu bedenken.
»Ich hätte sie auf alle Fälle gehört. Es ist ziemlich ruhig hier draußen - vor allem spätabends. Wenn man eine Weile hier wohnt, fällt einem jedes ungewohnte Geräusch auf - auch wenn der Fernseher laut ist und alle Fenster fest zu sind.«
»Haben Sie an jenem Abend vielleicht einen Wagen vorbeifahren gehört?«
Mr. Joyce dachte nach. »Das hat mich die Polizei auch gefragt. Ja - einer ist vorbeigefahren: Kurz bevor Dammit an der Tür kratzte. Der Cop, der das Protokoll aufnahm, meinte, daß da drin der Schütze saß.« Er starrte aus dem Fenster. »Vermutlich irgend so ein Halbstarker.«
Im Wohnzimmer schlug eine Uhr, dann herrschte Stille - bis auf den Wasserhahn, der mit seinem Tropfen die Sekunden anzeigte. Mr. Joyce hatte kein Telefon. Es gab nur wenige Nachbarn, und die wohnten in ziemlicher Entfernung. Ich fragte mich, ob er wohl Kinder hatte. Wie es schien, hatte er sich nach Dammit keinen Hund mehr angeschafft-und auch kein anderes Haustier.
»Der alte Dammit war wirklich kein
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