Das fünfte Paar
als hätten Sie Benton abgeschrieben.«
»Nee - ich bin bloß im Moment nicht in der Stimmung, mich mit ihm abzugeben.«
»Er ist noch immer Ihr VICAP-Partner, Marino. Sie und ich sind nicht die einzigen, die unter Druck stehen. Seien Sie nicht zu streng mit ihm.«
»Ich hoffe, Ihre Ratschläge sind kostenlos«, grinste er.
»Sind sie - und das ist ein Glück für Sie, denn Sie brauchen jede Menge davon.«
»Wollen Sie irgendwo was essen?«
»Keine Zeit - ich muß zum Sport.«
»Grundgütiger! Wahrscheinlich werden Sie mir als nächstes dazu raten.« Wir lachten beide.
Obwohl ich alles getan hatte, außer rote Ampeln zu überfahren, um pünktlich zu sein, kam ich zu spät zum Tennisunterricht. Einer meiner Schnürsenkel riß, ich hatte das Racket nicht gut im Griff, und auf der Galerie wurde ein mexikanischer Abend veranstaltet, was bedeutete, daß es da oben von Leuten wimmelte, die sich zu ihren Margaritas und Tacos zur Unterhaltung an meinen kläglichen Bemühungen weideten. Nachdem ich hintereinander fünf Rückhandbälle weit ins Aus befördert hatte, ging ich dazu über, die Knie zu beugen und den Schwung zu verringern. Die nächsten drei Bälle gingen ins Netz. Die Volleys waren bejammernswert, die Overheads unsäglich. je mehr ich mich bemühte, um so schlechter wurde ich.
»Sie holen zu früh aus und treffen zu spät.« Billy kam auf meine Seite herüber. »Zu weit ausgeholt, zu wenig durchgezogen - schon ist es passiert.«
»Ich trage mich mit dem Gedanken, auf Bridge umzusteigen«, sagte ich wütend.
»Sie halten den Schlägerkopf zu offen. Holen Sie frühzeitig aus, stehen Sie seitlich zum Ball, gehen Sie in den Ball hinein und schlagen Sie ihn vor sich. Und halten Sie ihn so lange wie möglich am Schläger.«
Er stellte sich neben mich auf die Grundlinie und schlug zur Demonstration mehrere Bälle übers Netz, während ich ihm neidvoll zusah. Billy hatte Muskeln wie die Gestalten von Michelangelo, seine Bewegungen waren fließend koordiniert, und er konnte einem Ball genau den richtigen Spin geben, damit er entweder über den Kopf des Gegners wegsprang oder vor dessen Füßen tot liegenblieb. Ich fragte mich, ob Spitzensportler wie er eine Vorstellung davon hatten, wie wir armen Dilettanten uns neben ihnen fühlen.
»Das Hauptproblem sitzt in Ihrem Kopf, Dr. Scarpetta«, erklärte er mir. »Sie kommen auf den Platz und wollen Martins sein – dabei wäre es viel besser für Sie, Sie selbst zu sein.«
»Ich weiß sehr wohl, daß ich nicht Martina sein kann«, murmelte ich.
»Seien Sie nicht so verbissen darauf aus, Punkte zu machen - Sie sollten lieber daran arbeiten, keine abzugeben. Spielen Sie mit Bedacht - halten Sie den Ball im Spiel, bis Ihr Gegner einen Fehler macht oder Ihnen Gelegenheit gibt, ihn auszuspielen. So läuft das. Club-Matches werden nicht gewonnen - sie werden verloren. Mancher schlägt Sie nicht, weil er mehr Punkte macht als Sie, sondern weil Sie mehr Punkte abgeben als er.« Er sah mich nachdenklich an. »Ich wette, bei Ihrer Arbeit sind Sie nicht so ungeduldig - da bringen Sie bestimmt jeden Ball zurück, und das den ganzen Tag lang.«
Dessen war ich mir nicht so sicher. Billys Vortrag bewirkte das Gegenteil von dem, was er beabsichtigt hatte: Er lenkte mich vom Tennis ab.
Spielen Sie mit Bedacht. Später, als ich mich in der Badewanne entspannte, dachte ich noch lange darüber nach. Auch unser Großer Unbekannter spielte offenbar mit Bedacht - doch alle Verbrecher machen Fehler. Das Problem liegt darin, die Fehler zu erkennen, ihre Bedeutung zu sehen und zu unterscheiden, was Absicht ist und was ein Versehen.
Wie verhielt sich das mit den Zigarettenstummeln, die an jedem Fundort gelegen hatten? War das auf eine Unachtsamkeit des Täters zurückzuführen? Sicher nicht - sonst hätte er nicht Fabrikat und Markennamen entfernt. Auch der Herzbube war absichtlich in die Wage n gelegt und nicht etwa dort vergessen worden. Keine der Karten hatte Fingerabdrücke aufgewiesen. Vielleicht hatte er mit ihnen unsere Überlegungen in eine bestimmte Richtung lenken wollen.
Der Schuß auf Deborah war eindeutig als Fehler zu werten. Was für ein Mensch war dieser Mörder? Man konnte wohl davon ausgehen, daß hier nicht ein gesetzestreuer Bürger plötzlich zum Serienkiller geworden war. Welche Untaten mochte er zuvor schon begangen haben? Eine davon war vielleicht die Ermordung des armen Dammit vor acht Jahren gewesen.
Nach der Personalbesprechung am folgenden Morgen bat ich
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