Das fünfte Verfahren
Schlafzimmer meines Freundes und stellte
fest, daß sein Bett unbenutzt war. Auf dem Weg in sein Arbeitszimmer hörte ich
im Treppenhaus Schritte. Jeanne kam herunter. Pantoffeln und Morgenrock machten
einen eher schäbigen Eindruck, ihre blonden Haare hingen ungekämmt herab, und
ihr Gesicht glänzte dank der Nachtcreme.
„Guten Abend, Baby“, sagte ich.
„Wissen Sie, daß die geschlossene Abteilung eines konkurrierenden Unternehmens
uns ein Ständchen gebracht hat?“
„W... was ist d... denn eigent...
eigentlich passiert?“ stammelte sie
„Hatten Sie etwa keinen Besuch? Kein
Gentleman mit Kanone hat Sie ins Reich der Träume geschickt?“
„Könnten Sie sich nicht etwas...
klarer ausdrücken?“
„Werd’s gleich nachholen. Im Moment
bin ich noch auf der Suche nach Ihrem Chef. Er liegt nicht in seinem Bett.“
„Der Doktor hatte noch zu arbeiten...
Er wird in seinem Büro sein.“
„Genau dorthin wollte ich gerade.
Gehen wir doch zusammen! Gefällt mir gar nicht, daß er noch nicht aufgetaucht
ist, um seine Patienten zu beruhigen.“
Wir begaben uns ins Allerheiligste.
Auch hier stand die Tür weit offen. Ich knipste das Licht an.
Meine Sorge war nicht unberechtigt
gewesen. Der Psychiater lag auf dem Boden, Kopf und Schultern badeten im Blut.
Seine Gesichtsfarbe sah gar nicht gesund aus.
„Arbeit für uns, Baby. Ich hoffe, der
Ärmste ist nicht tot. Wär genau der falsche Augenblick.“
Ich beugte mich über den leblosen
Körper und fluchte. Sein Blick war verdammt starr. Ich versuchte, ihn
aufzurichten und schüttelte ihn kräftig. Aber diese Methode hat immer schon
versagt. Jedenfalls, wenn jemand so tot war wie Frédéric Delan.
„Verfluchte Scheiße!“ stieß ich
hervor. „Dabei hätte er mir so nützlich sein können...“
Als Grabrede war das ziemlich
unpassend. Glücklicherweise war niemand da, der mich dafür hätte zurechtweisen
können. Denn Jeanne zählte nicht. Starr vor Entsetzen, kreidebleich im Gesicht,
so stand sie gegen den Bücherschrank gelehnt. Ohne ihn hätte sie sich neben
ihren Chef gelegt. Ich schob meine Hand unter ihren zitternden Arm.
„Wechseln wir besser die
Örtlichkeiten“, schlug ich vor, „und suchen wir uns ein gemütlicheres
Plätzchen. Sagen Sie mir, wo sich die Hausbar befindet. Ich brauch unbedingt
ein Stärkungsmittel. Danach können wir Kriegsrat halten.“
Wir flüchteten uns in den Salon des
Ermordeten. Jeanne sank in einen Sessel und nahm eine Riesenportion Alkohol zu
sich. Sofort wurden ihre Wangen rosiger. Während sie sich vollends erholte,
begab ich mich wieder ins Arbeitszimmer und untersuchte die Leiche. Nachdem das
erledigt war, nahm ich ein Päckchen Zigaretten an mich, das auf dem
Schreibtisch lag, und ging zu Jeanne zurück. Sie sah schon wieder viel munterer
aus. Ich bot ihr eine Zigarette an und berichtete ihr von dem Überfall auf mich
und von der Entführung meines Nachbarn Victor Fernèse. Daß ich die Kidnapper zu
einem Drittel kannte, verschwieg ich ihr allerdings. Dafür erzählte sie mir,
sie sei von dem Lärm wachgeworden. Da sie unterm Dach wohnte, war sie von ungebetenem
Besuch verschont geblieben. Ihr Zimmer lag nach hinten raus, deshalb hatte sie
den Luxusschlitten weder gehört noch gesehen. Doch der Tumult in den unteren
Stockwerken war ihr seltsam vorgekommen, und sie hatte nachsehen wollen, was
los war.
„Was Dr. Delan betrifft“, sagte ich,
„so weiß ich, was mit ihm los ist. Ich habe seine Leiche untersucht.
Anscheinend war sein Tod die Folge eines unglücklichen Unfalls. Er ist
hingefallen und mit dem Hinterkopf gegen die Kante des Büfetts gestoßen. Das
Möbel ist nicht nur aus massivem Holz, sondern an den Kanten auch noch mit
Metall verkleidet. Ein tödlicher Schädelbruch hat seine Karriere beendet. Sein
Kopf sieht aus wie von einem Hammer zertrümmert. Aber ein Hammer war nicht im
Spiel, nur eine Faust. Und die hat ihn nicht am Hinterkopf getroffen, sondern
am Kinn. Allerdings muß die Faust einem Koloß gehört haben, neben dem unser
Freund, der Gorilla...“
Ich verstummte.
„Übrigens, wo ist Pierre eigentlich?“
fragte ich.
„Er schläft in einer Art Pförtnerloge
neben dem Eingang“, klärte mich Jeanne auf.
„Dann wollen wir mal nachsehen, ob er
immer noch dort ist.“
Der ehemalige Boxer lag nicht in
seinem Bett, sondern auf der Außentreppe. Gefesselt und geknebelt. Wir
befreiten ihn, und zum Dank erzählte er uns von seinem Mißgeschick. Das
Verhältnis von unanständigen und
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