Das fünfte Verfahren
jemandem das Lebenslicht auszupusten, als
eine Zigarette anzuzünden.
Ein Tumult im Haus hatte mich, noch
halb schlafend, aufgeschreckt. Zunächst dachte ich, daß mein Nachbar wieder
loslegte. Dann wurde der Lärm deutlicher. Eilige Schritte auf den Korridoren,
Türenknallen und Rufen ließen mich hellwach werden. Ich war noch etwas
benommen. Vielleicht war der Rotwein vom Vorabend die Ursache dafür. Doch wer
sie mir nahm, meine Benommenheit, das war der unerwartete Besucher. Er hatte
meine Zimmertür aufgerissen und stand nun mit seiner massigen Gestalt im
Türrahmen. Bevor ich etwas tun oder sagen konnte, wurde der Lichtschalter
betätigt. Das helle Licht ließ die auf meinen Bauchnabel gerichtete Mauser bläulich
schimmern.
„Ganz ruhig, Kleiner“, sagte der
Eindringling ganz ruhig. „Sonst kriegst du ‘ne kalte Dusche.“
Er kam zu mir ans Bett und verpaßte
mir einen Schlag — mit der Faust oder mit der Pistole, ich weiß es nicht.
Jedenfalls war es eine dieser Kopfnüsse, die Epoche machen. Ich fiel wieder in
tiefen Schlaf, während er sich zurückzog und den Schlüssel von außen zweimal
herumdrehte, natürlich nachdem er als gewissenhafter Staatsbürger das Licht
gelöscht hatte. Zur Sicherheit aller.
Lange Zeit wußte ich nicht, ob ich auf
hoher See dahintrieb, geschüttelt von der Krankheit gleichen Namens, oder ob
ich ein militärisches Angriffsziel war, zwei Minuten vor Bombenalarm. Oder
schwebte ich nach einem üppigen Mahl an einem Fallschirm? Ich hatte den
Eindruck, auf meinen Schultern laste ein übergroßer Kopf wie der des Kandidaten
in Ich weiß alles. Um mich herum drehte sich die Welt. Endlich kam ich
wieder zu mir, völlig erledigt und zerschlagen.
Jemand wurde über den Korridor
geschleift. Ein anderer — oder derselbe — schrie:
„Laurence! Laurence!“
Flüche waren zu hören, eine wütende
Frauenstimme zischte:
„Fangen Sie nicht wieder mit dem
Blödsinn an!“
In Wirklichkeit benutzte sie einen
weitaus kräftigeren Ausdruck. Fernèse jedoch schrie weiter:
„Laurence! Lau...“
Das rence blieb ihm im Halse
stecken. Man hatte ihm das Maul gestopft. Schritte tobten die Treppe hinunter.
Hörte sich an wie das Getrappel einer ganzen Kompanie. Jetzt erst vernahm ich
leises Motorengeräusch. Ein Wagen stand vor der Klinik bereit. Leute verließen
das Haus. Es wurde nur noch geflüstert. Ich ging zum Fenster und öffnete es
lautlos. Der Mond war inzwischen aufgegangen und tauchte eine dunkle Limousine
in sein kaltes Licht. Die Schnauze wies in Richtung Nationalstraße. Ein
luxuriöser Schlitten, mit dem man ohne viel Lärm zu machen, sehr weit kommen
konnte. Ich sah, wie zwei Männer — einer davon war der Besucher von eben — zum
Wagen gingen. Sie trugen ein längliches Wäschepaket, das verzweifelt
strampelte, aber keinen Ton von sich gab: Victor Fernèse, im Nachthemd und
geknebelt. Eine Frau folgte der Dreiergruppe, ging um den Wagen herum und stieg
ein. Doch lange blieb sie nicht drin, die beiden Männer brauchten sie. Sie
öffnete die Wagentür, die ich von meinem Fenster aus sehen konnte. Zum
Vorschein kamen zuerst nur ihre seidenbestrumpften Beine, die der
hochgerutschte Rock freizügig zeigte. Dann folgte der Körper. Die Frau half
ihren Komplizen, den zappelnden Gefangenen auf der Rückbank zu verstauen. Ich
konnte alles so gut beobachten, als wäre es hellichter Tag gewesen.
Auch wenn mir der Anblick der Beine
nicht den Atem verschlug, so schoß mir doch ein Gedanke durch den schmerzenden
Kopf, der Form annahm...
Eine der drei Kidnapper meines
verrückten Nachbarn war die allerliebste Jackie Lamour.
* * *
Als sich die erste Überraschung gelegt
hatte, erwachten in mir die Geister, die mir zu meinem Ruf als Dynamit-Burma
verholfen hatten. In meinem Oberstübchen lief noch nicht alles nach Wunsch,
aber die Kaltblütigkeit war zurückgekehrt. Ich schlüpfte in Hose und Schuhe und
ging ins Badezimmer, wo ich einen Hocker gesehen hatte. Mit diesem robusten
Gegenstand zertrümmerte ich das Schloß meiner Zimmertür.
So langsam kam Leben in die Klinik.
Hier und da wurde an die Türen geklopft. Die Freunde der Tänzerin hatten alle
Hausgäste eingesperrt.
„Der Probealarm ist beendet!“ rief ich
durch den Flur. „Legen Sie sich bitte wieder hin und versuchen Sie zu schlafen.
Morgen wird Ihnen alles erklärt.“
Es wurde wieder ruhig. Ich ging in die
Privatwohnung des Leiters der psychiatrischen Klinik. Die Tür stand
sperrangelweit auf. Ich lief in das
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