Das fünfte Verfahren
der
Unterhaltung meiner Thekennachbarn und sah ihnen beim Würfelspiel zu. Beides
führte nicht dazu, daß ich die Geschichte mit den Briefen auch nur für einen
Moment vergaß. Immer wieder versuchte ich, den Inhalt zu rekonstruieren. Da, wo
es mir gelang, konnte ich nichts Außergewöhnliches feststellen. Vielleicht
waren die Briefe ja nur Teil eines Bluffs, und es ging eigentlich um etwas ganz
anderes? Ich wünschte mir von Herzen, daß sie die Bedeutung hatten, die ich
ihnen zuschrieb. Sonst konnte ich meine gesamte Theorie über den Haufen werfen.
Beim dritten Weißwein fragte ich mich,
ob es wohl hier in der Nähe ein Kino mit Dauervorstellungen gebe. Dort hätte
ich gerne den Tag in aller Ruhe verbracht. Ich zahlte und ging hinaus, um solch
eine Einrichtung zu suchen. Vergeblich. Glaubte ich an den Weihnachtsmann, oder
hatte ich diesen Scheißkrieg vergessen? Mehrmals war ich drauf und dran,
Monsieur Maillard zu besuchen. Doch ich erinnerte mich noch rechtzeitig an mein
Versprechen, nicht mit dem Feuer zu spielen. Aber, verdammt nochmal, Nestor
Burma hatte noch nie die Waffen gestreckt! Und außerdem wollte es der Zufall,
daß ich in diesem Augenblick durch eben die Straße ging, in der Maillard
wohnte. Meine guten alten Beine hatten mich von selbst dorthin gebracht. Dabei
wird immer behauptet, Privatdetektive ließen sich von ihrem Hirn leiten!
* * *
Niemand reagierte auf mein
Klingelzeichen. Ich versuchte es noch einmal, mit demselben Ergebnis. Durch
starkes Rütteln an der Tür stellte ich fest, daß sie abgeschlossen war. Das
Schloß zu knacken, wäre keine Hexerei gewesen. Doch ich verschob diese Übung
auf später und ging wieder hinunter.
Die Concierge war bei meiner Ankunft
weit und breit nicht zu sehen gewesen. Jetzt schüttete sie Wasser auf den Boden
des Eingangsflures, um den Eindruck zu erwecken, sie mache sauber. Ich fragte
sie nach ihrem Mieter. Sie sagte, sie habe Monsieur Maillard nicht hinausgehen
sehen... übrigens gestern abend auch nicht hereinkommen hören. Wahrscheinlich
sei er während der Ausgangssperre erwischt und auf irgendeiner Polizeiwache
festgehalten worden.
Ich wollte mich noch etwas in
Saint-Barnabé umsehen und ging zur Früchte-Fabrik zurück, um mir ein Vielfrucht- Fahrrad
auszuleihen. Ich hatte begriffen, daß ich tief in der Patsche saß und es mir
nichts nützte, wenn ich den Kopf in den Sand steckte. Gefährlich oder nicht,
der Fall faszinierte mich. Ich war entschlossen, ihn zu verfolgen, bis man mich
bremsen würde. Im Augenblick hatte ich mindestens einen guten Grund, die ganze
Sache sausenzulassen.
Und während ich so hin und her
überlegte, erreichte ich auf zwei Rädern den schmutzigen Weg, der zu den drei
Häusern führte.
Am hellichten Tag wirkte die Gegend
auch nicht einladender als in der Dämmerung oder mitten in der Nacht. Dreckig
und laut wegen der nahegelegenen Eisenbahnlinie. Auch der Gestank nach
Kohlenstaub und Rauch war nicht weniger geworden. Klar, daß sich hier keine
Nase darum kümmerte, wenn der Geruch nach etwas verkohltem Fleisch noch
hinzukam...
Auf einem Fensterbrett des Häuschens
der tauben Alten saß eine Katze und leckte mit flinker Zunge ihr Fell.
Sicherlich Minou, der streunende Kater. Hin und wieder ließ das schrille
Pfeifen einer Lokomotive das Tier zusammenschrecken. Das Häuschen hatte weder
Garten noch Zaun. Die Tür ging direkt auf den Weg hinaus. Ich näherte mich und
klopfte. Das Mütterchen öffnete die Tür.
Ich schaffte es, hereingebeten zu
werden. Schließlich wollte ich meine Erklärungen und Fragen nicht draußen der
Alten ins Ohr schreien müssen, so daß man mich noch einen Kilometer weiter weg
verstanden hätte.
Das Zimmer war schlicht möbliert,
ärmlich und sauber. Auf einem Büfett thronten zwei Fotos von noch ziemlich
jungen Männern, die sich ähnelten und auch an bestimmte Gesichtszüge der Alten
erinnerten. Meine Unterhaltung mit dem Mütterchen war eher mühsam. Hinterher
war ich ganz heiser, hatte aber eine hübsche Anzahl von Informationen
beieinander.
Ich gab mich als einen Freund von
Monsieur Bernard aus, soeben aus Paris eingetroffen. Wir hätten mit ein paar
Freunden nach Cannes fahren wollen, und jetzt öffne niemand die Tür gegenüber.
Sicher, ich hätte mich etwas verspätet... bei all den Schikanen an der
Demarkationslinie!
Die Alte hielt daraufhin eine Lobrede
auf ihren Nachbarn. Ein so freundlicher Mann, nein... Aber eben seit einigen
Tagen verreist, ja, leider. Neulich habe
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