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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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dar. Ich ließ meinen Blick eine Weile darüber
wandern, dann ging ich wieder zurück und schlüpfte durch eine der wohlbekannten
Lücken im Zaun. Auf dem unbebauten Gelände stolperte ich über die
verschiedensten Dinge. So gelangte ich bis zur Ruine, die zu vermieten war. Bei
Tageslicht sah das leerstehende Haus wirklich übel aus. An der Seite befanden
sich drei Fenster, zwei im ersten Stock und eins im Erdgeschoß. Die Läden vor
dem letzteren waren geschlossen. Sie sahen solide aus und waren ebenso solide
angebracht. In der ersten Etage war das ganz anders. Einem der Fenster fehlte
ein Flügel des Ladens, der Laden des anderen Fensters lag unten auf dem Boden.
Die Scheiben waren alle kaputt.
    Ich ging um die Baracke herum und
befand mich vor einer Holztür. Sie war nicht verschlossen und öffnete sich auf
leichten Druck hin. Ich trat ein und stand in einer Küche ohne Küchenmöbel. Es
roch hier drinnen nicht stickig, sondern genauso wie draußen: nach Rauch und
Kohle. Das Fenster war nach innen geöffnet, und die Luft drang durch die Ritzen
des Ladens herein. Von der Decke bröckelte der Putz und bedeckte den
Fliesenboden. Ich schloß die Tür hinter mir, knipste meine Taschenlampe an und
betrat einen kleinen Flur. An der Wand hing eine vergilbte Tapete, das heißt,
sie löste sich durch die Feuchtigkeit mehr, als daß sie hing. Auf dem Boden
lagen Staub und, hier und da, richtiger Dreck.
    Ich pfiff anerkennend durch die Zähne.
Glückwunsch, Nestor! Im Staub und im Dreck konnte man die Reifenspuren eines
Fahrrades erkennen. Ich sah sie mir genau an. Nein, es bestand kein Zweifel.
    Ich richtete mich wieder auf. Der
Schein meiner Taschenlampe erfaßte einen Gegenstand am Fuße der Treppe, die am
Ende des Korridors nach oben führte. Ich trat näher und erkannte ein
verdrecktes, ausgedientes Fahrrad mit verbogenem Vorderrad. Ein nach einem
Sturz kaputter Drahtesel. Das Profil der Reifen entsprach nicht der Spur, die
ich soeben im Staub gefunden hatte.
    Die Treppe ächzte und stöhnte unter
meinem Gewicht.
    Beinahe hätte ich die fehlende Stufe
übersehen und mir den Hals gebrochen. Der Treppenabsatz bekam durch eine
Dachluke schwaches Licht. Ich hatte die Wahl zwischen drei wackligen Türen. Die
in der Mitte verbarg — schlecht! — eine Art Rumpelkammer. In dem Zimmer rechts
war es dunkel und roch muffig. Mit Hilfe meiner Taschenlampe konnte ich
feststellen, daß es leer war. Blieb nur noch das Zimmer links.
    Es war das, dessen Fenster ich von
außen gesehen hatte. Außer den beiden schon beschriebenen gab es noch ein
drittes, das direkt auf das Häuschen von Dreifach-B zeigte. Es hatte weder
Scheiben noch Läden, sondern war mit Brettern vernagelt. Durch die Ritzen
konnte man allerdings alles beobachten, was auf der Straße passierte. Der
ideale Beobachtungsposten für einen neugierigen Zeitgenossen!
    Und genau das war es auch. Im hellen
Tageslicht, das durch die beiden anderen Fenster hereindrang, sah ich in einer
Ecke auf dem Boden einen Haufen Koservendosen und ein paar Flaschen Wein,
sowohl volle als auch leere. An der Wand hatte sich jemand aus alten Zeitungen
und Decken ein Lager gebaut. Und zwischen den Lebensmitteln und dem harten
Lager, mitten in dem Dreck und der Zigarettenasche, neben einem Seidentuch, das
mit einem großen Taschentuch zusammengeknotet war...
    Nichts, was ich bisher gesehen hatte,
überraschte mich. Aber auf diesen zusätzlichen Programmpunkt war ich nicht
gefaßt gewesen. Nein, hier hätte ich den Kerl wirklich nicht vermutet!
    Ein Mann lag auf dem Boden. Seine
Hand- und Fußgelenke waren gefesselt, seine Kleidung schmutzig, Hände und
Gesicht auch nicht viel sauberer. Bis zur Halskrause stand ihm der Dreck.
    Es war Monsieur Maillard persönlich,
starr und steif wie ein Brett.
    Das taube Mütterchen hatte recht. Eine
ruhige Straße war das hier. Ruhig und friedlich. Ich kannte nur einen Ort, der
eine ähnliche Atmosphäre verbreitete: die Morgue, das Leichenschauhaus in
Paris.

10

Informationen aus erster Hand
     
     
    Vorsichtig machte ich mich daran, die
Leiche zu durchsuchen. Die Taschen des Mannes enthielten weder Geld noch
Papiere. Ich hob den Kopf an den Haaren hoch und bemerkte am Hinterkopf eine
Prellung, die wahrscheinlich von einem harten Knüppelschlag stammte. Zu
verstehen, was sich abgespielt hatte, erforderte keine außergewöhnliche
Phantasie.
    Maillard war überfallen, gefesselt und
geknebelt und dann hierhergeschafft worden. Der Übeltäter hatte

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