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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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wiederum
so schlecht zu seinem Teint, daß man versucht war, ihn für ein Pseudonym zu
halten. Und Maillard? Hieß er Maillard, oder nannte er sich nur so?
    Maillard und Olga vermischten sich in
meinem Kopf. In diesem Augenblick spielte ich gerade wieder mit meinem
Siegelring, der sich immer um meinen Finger drehte. Und da kam mir eine meiner
seltsamen Ideen, die meistens gar nicht so seltsam sind. Die dicke Glocke am
Gartentörchen in Saint-Barnabé, die mich so sehr beschäftigt hatte, legte die
Vermutung nahe, daß Dreifach-B auch unter der Folter nichts verraten hatte. Und
Maillard sollte noch erfahren, was es hieß, einen Don Juan unvorsichtigerweise
vor dem Auftauchen eines Trottels zu warnen... Ich nahm mir vor, am nächsten
Tag in aller Frühe meinem Verdacht nachzugehen.
    So langsam dämmerte ich unmerklich in
einen Schlaf hinüber, der mir alle möglichen Traumbilder bescherte. Ich sah
Hélène vor mir, wie auf einem Bildschirm, und fragte mich, ob ich sie
beauftragen sollte, Erkundigungen über Victor Fernèse einzuholen. Und wohin
sollte ich sie schicken? Zur Klinik meines toten Freundes, des armen Delan? Das
war das Verflixte an meiner Situation. Ich war Verfolger und Verfolgter in
einer Person und verfügte nicht über die nötige Bewegungsfreiheit. Sollte ich
ein unschuldiges junges Mädchen in dieses ungewöhnliche Durcheinander
hineinziehen? Man hatte mich beauftragt, Briefe zu besorgen. Ich hatte sie
besorgt. Für meine Dienste hatte man mir dreißigtausend Francs gezahlt. Das war
gut bezahlt. Es wäre das Klügste gewesen, die Finger von dem Fall zu lassen.
Apropos Geld... Ich dachte an den Schein, der Bernard verraten hatte. Was war
so verräterisch an dem Tausender gewesen?
    Ich fuhr so heftig von meiner Matratze
auf, daß ich mit dem Kopf gegen ein Regalbrett stieß. Also wirklich, Nestor
Burma, du solltest die Finger von dem Fall lassen!
    Nach meinem Einbruch in Jackies Villa
hatte ich die geklauten Geldscheine mit denen vermischt, die sich bereits in
meiner Brieftasche befanden. Einer davon war bestimmt hängengeblieben, und den
hatte ich Boris gegeben, dem Visagisten meines veränderten Gesichts. Und das
Besondere an diesem Schein? Er war mit einem transparenten Streifen
zusammengeklebt gewesen! Mit einer Schere sauber zerschnitten, hätte man meinen
können, jetzt erinnerte ich mich. Das war gängige Praxis in bestimmten Kreisen:
Für einen Auftrag bekam man die Hälfte der ausgehandelten Summe im voraus und
die andere Hälfte nach Erledigung. Zwei Hälften, im wortwörtlichen Sinn! So
wurde es bei allen Geheimdiensten gehandhabt. Damals hatte ich diesem Umstand
keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Aber jetzt, nach diesen beiden
Morden, erschien das in einem... ganz anderen Licht!
    Geheimdienst? Nichts für Nestor Burma!
Ja, ich sollte ganz schnell die Finger davon lassen!
    Diese Erleuchtung und der
darauffolgende Entschluß wirkten auf meinen überreizten Organismus wie ein
Schlafmittel. Ich schlief wie ein Stein.

Eine ruhige Straße
     
     
    Meine Nerven gestatteten mir keine
ausgedehnte Nachtruhe. Schon um halb sieben öffnete ich die Augen. Ich stopfte
mir eine Pfeife und rauchte langsam, um meine Gehirnzellen zu beleben. Ohne
gleich Lust zu haben, einen Charleston zu tanzen, hatte ich doch weniger Schiß
als am Vorabend. Ich kam mir vor, als säße ich auf einem Pulverfaß und vor mir
stünde eine Gruppe Betrunkener mit brennenden Fackeln. Zugegeben, ein höchst
interessanter Fall für einen Künstler wie mich. Das redete ich mir eine gute
halbe Stunde ein, dann stand ich auf.
    In dem Fabrikgebäude herrschte bereits
reges Treiben. Irgend jemand zeigte mir den Weg zum Waschraum. Nach
rudimentärer Körperpflege ging ich zu Rouget hinauf.
    „Ich will so bald wie möglich wieder
nach Paris zurück“, erklärte ich ihm. „Schwarz, natürlich. Du hast doch sicher
‘ne Idee. Der Trick, durch den ich hierhergekommen bin, funktioniert wohl nicht
mehr...“
    Rouget hatte eine Idee. Aber sie
funktionierte auch nicht einfach so, auf Abruf. Wenn ich mich bis zum Abend
gedulden wolle, könne er mir eine sichere Adresse geben. Mit diesem Versprechen
in der Hand verließ ich die Vielfrucht und machte einen Spaziergang.
    Es regnete nicht mehr. Die Sonne
unternahm sogar ein paar schüchterne Versuche, kam jedoch gegen den gemeinen
Mistral nicht an. Den Gedanken, Hélène eine Karte zu schreiben, ließ ich wieder
fallen. Ich würde bald selbst in Paris sein.
    In einem Bistro lauschte ich

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