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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Spekulationen schon genug zu tun.
    Nestor Burma hatte also zum zweiten
Mal den Weg der schönen Tänzerin gekreuzt, diesmal als falsche Leiche. Bernard,
der falsche Hund, mußte wohl den Privatdetektiv als Einbrecher engagiert haben,
so dachte Jackie Lamour. Also waren die Briefe, die sie bei dem Kroaten gesucht
hatte, bei Bernard. Unter diesen Umständen empfahl sich ein Besuch bei dem
inzwischen ungeliebten Geliebten. Allein schon deshalb, um ihren Verdacht
bezüglich der geklauten Banknoten zu überprüfen.
    Sicher, ich hatte keinerlei Beweise,
was die Akteure des Dramas in dem abgelegenen Haus von Saint-Barnabé betraf.
Nur der Ablauf des Dramas selbst war mir aufgrund verschiedener Überlegungen
ziemlich klar.
    Zunächst einmal hielt ich einen
Selbstmord für ausgeschlossen. Einiges sprach dagegen:
    a) Zuwenig Staub auf dem Boden und auf
den Möbeln. Der Haushalt eines Junggesellen erfordert aber ein gewisses Maß an
Staub. Vor allem, wenn sich dieser Haushalt ganz in der Nähe einer
Eisenbahnlinie befindet. Auch wenn Selbstmörder vor ihrem letzten Schritt die
seltsamsten Aktivitäten entwickeln, so konnte ich mir doch nicht vorstellen,
daß Dreifach-B großen Hausputz macht, bevor er die tödliche Pille schluckt. Und
das mit dem Drohbrief in der Tasche und panischem Schrecken im Herzen! Die
Sauberkeit im Hause Bernard war für mich der eindeutige Beweis dafür, daß
jemand seine Spuren sorgfältig verwischt hatte.
    b) Weder das Gartentörchen noch die
Haustür waren abgeschlossen gewesen. Die passenden Schlüssel hingen im
Hausflur. Klar, wenn die Schlüssel verschwunden gewesen wären, wäre die
Inszenierung der Mörder unglaubwürdig gewesen.
    c) Der wunderbarerweise nur halb
verbrannte Morgenmantel. Normalerweise hätten die Flammen des Kaminfeuers den
Stoff erfassen müssen, und das hätte der Anfang einer hübschen Feuersbrunst
werden können!
    Nein, ich stellte mir die Szene folgendermaßen
vor:
    Der „Patient“ wurde so gefesselt, daß
keine Spuren auf der Haut zurückblieben. Das war zum Beispiel möglich, indem
man Lappen oder Wäschestreifen um die Gelenke wickelte. Dann fragte man den
Gefesselten ganz höflich, was er mit den Briefen gemacht habe. Er antwortete
nicht, worauf man ihm ganz vorsichtig die Füße im Kamin versengte. Die Tänzerin
nannte die Nummer bestimmt „Methode Feuertanz“. Der verstockte Gefangene schrie
wohl ein wenig lauter, als wenn man ihn mit einer Pfauenfeder an den Fußsohlen
gekitzelt hätte. Doch in der Nachbarschaft wohnte ja nur ein taubes Mütterchen,
und so konnte die Operation gefahrlos durchgeführt werden. Ob Dreifach-B
daraufhin redete oder nicht, entzog sich meiner Kenntnis. Auf jeden Fall lohnte
man ihm sein Verhalten schlecht: Man gab ihm ein Zyanid-Bonbon.
    Die Mörder befreiten die Leiche von
den Fesseln und legten sie so hin, als wäre der Mann mit den Füßen in den Kamin
gefallen. Auch den Morgenmantel ließ man ein wenig anbrennen, damit die Szene
überzeugend wirkte. Dann schob man das Motiv für den „Selbstmord“ in die Tasche
des Toten: den anonymen Drohbrief samt gelbem Stern. Darauf folgte das
Großreinemachen, die Beseitigung aller Spuren. Halt, vorher noch eine
gründliche Hausdurchsuchung! In dem allgemeinen Durcheinander würde das nicht
weiter auffallen.
    Kurz und gut, alles wurde so
hergerichtet, daß man zu den Schlüssen kommen mußte, die ich dem Rothaarigen
gegenüber geäußert hatte. Die Untersuchung des Falles durch die Polizei würde
schnell abgeschlossen sein und der Fall zu den Akten gelegt werden. Ein
weiterer Selbstmord eines Juden! Kein Grund zur Aufregung...
    Hatte Dreifach-B aber nun verraten, wo
er die Briefe aufbewahrte? Ich wußte es nicht.
    Ein zweiter, wenn auch weniger dunkler
Punkt war die Entführung von Victor Fernèse. Bestand eine Verbindung zum Fall
Bernard? Wenn ich doch wenigstens so ungefähr gewußt hätte, wer Fernèse war!
    Verständlich, daß ich inzwischen alle
Welt verdächtigte, unter falschem Namen zu leben. Bei diesem Drama schien das
allgemein üblich zu sein. Angefangen bei Nestor Burma, der sich als Monsieur
Martin vorgestellt hatte. Beaucher hieß Barnabé, Barnabé hieß Bernard — was
auch nicht sicher war — , und Jackie Lamour war ganz sicher ein Künstlername.
Und Olga paßte auch besser in einen Liebesroman als in die Wirklichkeit. Ich
persönlich habe jedenfalls noch keine Frau kennengelernt, die tatsächlich Olga
hieß. Nur Rouget fungierte unter seinem Geburtsnamen. Doch paßte der

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