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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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der
Teufel zu sein, empfindlich und humorlos. Doch der Diebstahl von ein paar
Geldscheinen rechtfertigte solch eine humorlose Tat nicht. Jackie wollte ihrem
Opfer die Briefe wieder abnehmen. Und so kam es, daß Matitch tot und ohne
Gepäck in Paris ankam. Aber warum hatte sie ihn in der besetzten Zone
umgebracht? Jackie kannte doch wohl seine Wohnung in Marseille, seine
Gewohnheiten und so weiter. Es hätte sich bestimmt eine Gelegenheit geboten,
ihn an Ort und Stelle zu erwischen. Nun, eine solche Gelegenheit hatte sich
eben nicht ergeben. Oder aber... Je länger ich nachdachte, um so mehr
war ich davon überzeugt, daß diese scheinbar so harmlosen Briefe mit dem
idiotischen Inhalt und dem schwarzen Bändchen etwas waren, neben dem Dynamit
und Elektronen zusammen wie lächerliches Spielzeug wirkten. Der Täter — oder
die Täterin — hatte offensichtlich keinen großen Wert darauf gelegt, daß die
Leiche in Marseille gefunden wurde. Vor ein paar Tagen noch war die
Demarkationslinie eine ziemlich wasserdichte Grenze zwischen den beiden Teilen
Frankreichs gewesen. Der Fundort — wenn auch nicht Tatort — Paris verschafften
dem Täter erst einmal eine Atempause. Dieser Gedanke brachte mich darauf, daß
Jackie ihr Opfer nicht bis zum Zielbahnhof begleitet hatte. Sie mußte nach
vollbrachter Tat irgendwo unterwegs ausgestiegen sein. Ich dachte an die
Gleisarbeiten auf offener Strecke, die Stelle, an der die Züge schon seit mehreren
Monaten langsamer fahren mußten. Nicht ausgeschlossen, daß meine
Hauptverdächtige davon gewußt hatte. Das hübsche Kind besaß sicherlich einen
Passierschein. Bei den Schenkeln! Als Tänzerin war sie nicht nur eine
Augenweide, sondern auch geschmeidig und durchtrainiert. Eine Kleinigkeit für
sie, von dem im Schneckentempo fahrenden Zug abzuspringen. Vielleicht hatte sie
in der Gegend einen Schlupfwinkel, in dem sie sich jetzt noch aufhielt. Zum
letzten Mal hatte ich sie in der Nähe der Demarkationslinie gesehen, in Delans
Klinik. Dort sollte ich ein wenig rumschnüffeln, anstatt hier in Marseille auf
einer Matratze im Lagerraum der Vielfrucht die Zeit mit Hirngespinsten
totzuschlagen. Wenn ich nur nicht so versessen darauf gewesen wäre, den
falschen Beaucher zu interviewen! Jetzt wußte ich zwar, wo er wohnte — gewohnt
hatte, besser gesagt — , aber das nützte mir nichts mehr. Ich war über seine
Leiche gestolpert. Jemand war mir zuvorgekommen, hatte vielleicht ein paar
Fragen gestellt und alles andere dem Gift überlassen. Denn ich bitte Sie: Der
gelbe Stern, die Verzweiflung, „dreckiger Jud“ und so, Hitler und seine
reisefreudigen Nazis, Flohmarkt der panischen Angst, Jahrmarkt der
Schreckensbilder, das alles hatte mich nicht überzeugen können. Dreifach-B war
hübsch ordentlich um die Ecke gebracht worden, mit Gift, wie ein König. Das
hatte ich sofort geahnt, und Olga hatte mich in meiner Meinung bestätigt und
mir sogar mögliche Täter genannt.
    Dem Amsel-Girl zufolge war
Jackie Lamour am 10. wieder im Cabaret aufgekreuzt, und zwar noch erheblich
schlechter gelaunt als üblich. Dafür gab es zwei, wenn nicht sogar drei Gründe:
Erstens hatte sie im Gepäck des Kroaten nichts gefunden. Zweitens legte die
Nachricht von meinem Tod den Verdacht nahe, daß Nestor Burma, der Kleiderzwilling
von Sdenko Matitch, in ihre Villa eingebrochen war. Wahrscheinlich wußte sie
sehr wohl, wen sie umgebracht hatte, und fragte sich, was diese Komödie zu
bedeuten hatte. Und drittens hatte sie Bernard dabei überrascht, wie er mit den
Geldscheinen aus ihrer Truhe den gemeinsamen Tee bezahlte. Offenbar hatte mein
Auftraggeber nicht versucht, ihr die zweitrangige Beute meines erstklassigen
Raubzuges zurückzuerstatten. Das wäre auch nur dann nötig gewesen, wenn Jackie
die Absicht geäußert hätte, Anzeige zu erstatten. Doch man konnte getrost den
Platz eines Mastschweines gegen den des Ministers für Lebensmittelzuteilung
wetten, daß sie diesen Schritt nicht wagen würde. Es war ein wenig naiv
gewesen, etwas anderes anzunehmen. Zu meiner Entschuldigung konnte ich
anführen, daß ich mir damals über den Charakter der Tänzerin noch nicht ganz im
klaren gewesen war. Allerdings fragte ich mich, welche Besonderheit der
verräterische Tausender aufwies, daß Jackie ihn wiedererkannte, einfach so, mit
einem Seitenblick. Ich hörte aber sofort auf, es mich zu fragen, da ich
beschloß, mir den Kopf nicht wegen Nebensächlichkeiten zu zerbrechen. Mein
armes Hirn hatte mit wichtigeren

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