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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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keinerlei
Interesse daran gehabt, seinem Opfer Redefreiheit zu gewähren. Ihm mußte
bekannt sein, daß die Alte nebenan mit ihrem Sohn zusammenlebte, der nicht so
taub war wie sein Mütterchen. Deswegen hatte er wohl den Knebel — Seidentuch
und Taschentuch — ein wenig strammer gezogen. Zu stramm. Die Vorsichtsmaßnahme
hatte Maillard das Leben gekostet: Er war daran erstickt. „Durch Oklusion der
Atemwege“, würde es der Gerichtsmediziner ausdrücken. Der Mord hatte sich
während der Nacht ereignet, vor etwa neun bis zehn Stunden. Die Leichenstarre
verriet mir dieses Geheimnis.
    Warum war Maillard überfallen worden?
    Die Antwort darauf war noch einfacher
als alles andere: Weil er bei BBB geläutet hatte. Nach der unergiebigen
Befragung mit der anschließenden Ermordung von Dreifach-B war einer der
Folterknechte als Wachposten in dieser unbewohnten Ruine zurückgeblieben. Der Auftrag
lautete, das gegenüberliegende Haus zu beobachten und eventuelle Besucher zu
beschatten. Für den Fall, daß der Posten gerade im entscheidenden Moment
eingedöst sein könnte, hatte man die überlaute Glocke angebracht. Wie ich
selbst festgestellt hatte, war es unmöglich, Bernards Haus zu betreten, ohne
ein Festgeläute auszulösen... und so den Posten aufzuwecken.
    Gestern war Maillard hier aufgetaucht
und von dem Wachposten verfolgt worden. Ich dachte an den Radfahrer, der an mir
und dem Rotschopf vorbeigefahren war. Von jenem Fahrrad stammten die Spuren
unten im Flur. Das kaputte Zweirad hatte Maillard gehört und war, zusammen mit
seinem Besitzer, hierhergebracht worden. Der Verfolger hatte nicht riskieren
wollen, den Besucher in der Dunkelheit zu verlieren. Deswegen hatte er ihn noch
auf dem Weg in die Stadt überfallen und unschädlich gemacht. Welch eine
Überraschung, als er am nächsten Morgen hier in der leerstehenden Ruine die
Folge der festen Knebelung feststellen mußte! Von dem Toten waren weder
Informationen noch sonst was zu erwarten. Also schnappte er sich dessen
Brieftasche mit den Papieren und marschierte damit zu jemandem, der etwas
schlauer war als er.
    Doch, der Fall faszinierte mich immer
mehr. Aber er wurde auch immer gefährlicher. Menschliches Leben schien hier
nicht viel zu gelten. Der Einsatz bei dieser Partie mußte wohl ganz beachtlich
hoch sein, und bei derartigen Partnern war ein Revolver bestimmt kein
überflüssiges Spielzeug. Er gehörte als unerläßliches Handwerkszeug dazu, und
ich bereute es bitter, daß ich keinen bei mir hatte. Vor dem Überqueren der
Demarkationslinie hatte ich mich vorsichtshalber selbst entwaffnet. Jetzt
fühlte ich mich ganz nackt und ungeschützt. Die Tatsache, daß der
versehentliche Mörder und heimliche Mieter dieser in sich zusammenfallenden
Ruine hier alles stehen- und liegengelassen hatte, ließ auf eine baldige
Rückkehr schließen. Einer Unterhaltung mit diesem Vogel wäre ich gar nicht
abgeneigt gewesen. Hätte sehr informativ werden können. Und ein Revolver wäre
ein vorteilhafter Einstieg gewesen und hätte einen Meinungsaustausch erheblich
erleichtert. Doch ich hatte nur meine Pfeife bei mir. Da ich nicht wußte, ob
mein möglicher Gesprächspartner ein Zweimetermann war und dreißig Kilo mehr wog
als ich, hielt ich es für angebracht, das Feld zu räumen und später mit der
nötigen Ausrüstung wiederzukommen. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn
in der Vielfrucht, einem so unchristlichen Ort, keine Waffe aufzutreiben
wäre! Einen Revolver, eine Kanone, einen Flammenwerfer oder einen leichten
Panzer...
    Ich warf Maillard einen lächelnden
Abschiedsblick zu. Hätte er mich nicht angelogen, dann wäre er jetzt noch auf
dieser Welt gewesen. Man sollte eben immer die Wahrheit sagen!
    Als ich auf den Flur hinaustrat,
drangen von unten Stimmen an mein Ohr. Ich hatte niemanden hereinkommen hören.
Jetzt war mir der Weg versperrt. Die Stimmen wurden deutlicher. Die Männer
machten Anstalten, zu mir und dem Toten heraufzukommen. Ich sah mich nach einem
Versteck um. Zimmer ohne Möbel haben in dieser Beziehung nicht viel zu bieten.
Blieb nur die Rumpelkammer. Ich stieß die Tür auf... und erstarrte bei dem
ohrenbetäubenden Lärm, den ich dabei verursachte. Der Schweiß brach mir aus,
und ich fragte mich schon, ob der kleine Nestor die schlechtesten Karten seines
Lebens hatte. Doch in genau demselben Augenblick ertönte ein noch größeres
Getöse, begleitet von lautem Fluchen, und übertönte das Quietschen der Tür.
Dank der fehlenden Stufe war einer

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