Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
Vom Netzwerk:
der neuen Hausgäste abgestürzt. Meine
Anwesenheit blieb vorerst noch ein Geheimnis. Ich konnte aufatmen.
    In meinem Schlupfwinkel war es
stockfinster, aber schließlich war ich nicht hier, um das Feuilleton des Petit
Marseillais zu lesen. Durch die schlecht schließende Tür konnte ich auf den
Treppenabsatz hinausspähen, und die Zwischenwand zu dem Zimmer, in dem Maillard
den ewigen Schlaf schlief, war nicht dicker als ein Zentimeter. Von einer
Unterhaltung drüben würde mir kein Wort entgehen. Mit Gewalt war in dieser
Situation nichts zu erreichen. Also wollte ich als Lauscher an der Wand etwas
von den beiden Männern erfahren. Es waren nämlich zwei, die in diesem
Augenblick die Treppe heraufkamen. Ich hatte sie direkt im Visier.
    Genau konnte ich sie nicht erkennen,
da sie sofort im Totenzimmer verschwanden. Nur eins war klar: Ihre Köpfe
gehörten zu denen, die man lieber auf anderen als den eigenen Schultern sieht,
wenn man am Ausgang eines Mädchenpensionats Eindruck schinden will. Sie hatten
nicht einen Funken Sex-Appeal und Charme. Ihre Gesichtszüge drückten tiefen
Ärger aus, zu dem bei einem von ihnen noch eine gehörige Portion Wut kam. Das
war wohl der Treppenartist. Er beschimpfte das baufällige Haus in einer Art, in
der man auch das baufälligste Haus nicht beschimpfen sollte. Dabei klopfte er
Staub von seinem gutgeschnittenen Übergangsmantel und seiner Hose, die an den
Knien ganz weiß war. Der Wüterich war ein massiger Kerl, den ich, wenn
überhaupt, lieber von hinten angegriffen hätte. Und das auch nur mit einem
ordentlichen Knüppel. Sein Begleiter, anscheinend der heimliche Wachposten,
trug eine Schirmmütze und gehörte schon eher in meine Gewichtsklasse.
    „Da ist er“, sagte der, der das
traurige Schicksal von Monsieur Maillard zu verantworten hatte. Ich nahm an, er
zeigte auf die Leiche. „Auch wenn du meinst, es wär nicht nötig gewesen, sich
extra herzubemühen, glaub ich, daß du ihn dir ansehen solltest...“
    „Ja, ja“, brummte der andere. „Mir den
Hals zu brechen, um ‘ne Leiche anzustarren... Ich seh ihn auch zum ersten Mal,
genauso wie du.“
    „Ich finde“, fand der
Knüppelschwinger, „er sieht nicht aus, als wär er ‘n Kumpel von Bernard
gewesen. Der hätte keinem Güterwagen gefährlich werden können, und erst recht
keinem Löwen.“
    „Stimmt, eher hätte er ihm ‘n
Stückchen Brot gegeben als einen Fußtritt. Aber Tote sehen immer friedlich aus.
Na ja, ich schließe mich deiner Meinung an. Sieht eher aus wie ‘ne Windmühle
als wie ‘n Ganove.“
    „Und bei ihm zu Hause sieht’s genauso
aus. Stinkt auf hundert Meter nach anständigem, ruhigem Leben…“
    „Ach ja, stimmt!“ rief der andere
lachend. „Hatte deine Initiative ganz vergessen.“
    „Lach du nur, Dédé, mach dich nur über
mich lustig! Warte, wenn erst Jackie hier ist... Meinst du, nur du könntest
Initiativen ergreifen? Ich hatte die Adresse und die Schlüssel zu seiner Wohnung.
Sollte ich etwa warten, bis du mit deiner Mieze fertig warst?“
    „Ich war heute morgen bei keiner
Frau“, zischte Dédé, zweifellos jener André, von dem Olga gesprochen hatte,
„sondern hab mich von dem Großhändler anschnauzen lassen. Er ist heute nacht
angekommen und hat mich sofort zu sich bestellt. Der hat’s immer eilig.“
    „Ach, ist er hier?“
    „Ja, mein lieber Paulot. Er ist im Moderne abgestiegen. Inkognito, wie du dir denken kannst. Kein Kunststück bei seinem
akzentfreien Französisch... Jetzt geht’s zur Sache! Das Geld kriegen wir, in
Pfund und in Dollars. Hast du kapiert? Dafür will er natürlich was anderes
sehen als Kleinscheiß. Der Junge macht nicht den Eindruck, als könnte man ihn
lange an der Nase rumführen. Ich hoffe, Jackie trudelt bald ein und weiß, was
aus dem Verrückten rauszuholen ist, und zwar flott...“
    „Pf... Pfund und Dollars?“ fragte
Paulot. Er war wie vor den Kopf geschlagen.
    „Ja, Pfund und Dollars. Da bist du
platt, was?“ Dédé lachte. „Anscheinend traut er seiner eigenen Währung nicht
über den Weg... Na ja, uns soll’s recht sein.“
    „Mein Gott, wenn ich daran denke, daß
ohne dieses Schwein von Bernard...“
    Für ein paar Minuten schlossen sie
eine heilige Allianz und stießen unheilige Verwünschungen gegen den falschen
Bruder aus, der ihnen die Butter vom Brot geklaut und sie zu Überstunden
gezwungen habe. Dabei tranken sie abwechselnd aus einer Weinflasche, deren
Entkorkung ich hatte mitanhören müssen.
    „Na schön“, sagte

Weitere Kostenlose Bücher