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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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vom Fach.
    „Luchs...? Soll das vielleicht Luchsauge heißen? Ich hab bei ihm ‘n Haufen Zeitschriften gesehen, die so hießen.“
    „Stimmt, Luchsauge ist
tatsächlich ein Magazin für Kriminalromane. Aber bestimmt ist das viel
raffinierter...“
    „Hilft uns alles nicht weiter“,
stellte Paulot fest.
    „Nein.“
    Pause. Nach einer Weile unterbrach
Dédé das Schweigen. „Geben wir’s auf“, entschied er. „Ich war noch nie gut im
Rätselraten. Das ist mehr was für Jackie. Sehen wir lieber zu, daß wir die
Leiche loswerden.“
    „Ganz genau!“ stimmte Paulot zu. „Ich
möchte mit der nicht bis Weihnachten hier rumsitzen. Es ist zwar kalt, aber
irgendwann stinkt’s.“
    „Was hast du mit ihr vor?“
    „Sobald es dunkel ist, werf ich sie in
den Brunnen, den ich hundert Meter von hier gesehen hab. Wird nicht mehr
benutzt, hat kein Wasser, nichts. Da guckt keiner nach, ob ‘ne Leiche verfault.
Und dann kommen die Ratten... Der Gestank fällt hier in der Gegend überhaupt
nicht auf.“
    „Wirklich kein feines Plätzchen, das
du dir ausgesucht hast, Paulot! Aber mach dir nichts draus, lange kann’s nicht
mehr dauern. Wenn Jackie zurück ist, wird alles anders.“
    Die beiden philosophierten noch ein
wenig darüber, ob es sinnvoll wäre, weiterhin Wache zu stehen, waren sich aber
einig, daß Paulot besser noch hierbleiben sollte, um Jackie keinen Grund zum
Meckern zu geben. Die werde hoffentlich zufriedener wiederkommen, als sie
abgefahren sei, hofften sie.
    Paulot geleitete, als vollendeter
Gastgeber und Kenner von Sitten und Gebräuchen, seinen Besuch zur Küchentür. Er
solle denselben Weg nehmen, den sie gekommen seien, riet er ihm noch.
    „Die Alte ist zwar taub, aber so ganz
blind ist sie noch nicht“, fügte er hinzu.
    Alleine kam Paulot wieder die Treppe
hinauf und ging brummend zu dem toten Maillard zurück.
    Ich wartete einen Augenblick, um Dédé
die Gelegenheit zu geben, sich weit genug vom Haus zu entfernen. Der Lärm, den
ich möglicherweise veranstalten würde, sollte ihn nicht beunruhigen. Ich hatte
nämlich so das Gefühl, daß wir zwei uns gleich überschwenglich begrüßen würden,
Paulot und ich.
    Er schimpfte nebenan immer noch vor
sich hin und versuchte mit Hilfe großer Mengen Rotwein, seine schlechte Laune
zu vertreiben. Seine Lippen machten am Flaschenhals Geräusche wie Schröpfköpfe.
Der Kerl eignete sich zwar dazu, Leute k. o. zu schlagen und danach
umzubringen, aber zur Totenwache taugte er nicht. Ich sollte ihn zur Ordnung
rufen. Außerdem bekam ich so langsam ebenfalls Durst.
    Unter lautem Quietschen verließ ich
mein Versteck. Gerne hätte ich mich — aus Ehrfurcht vor dem Toten! — leiser
bewegt, aber die Türangeln ließen kein ehrfürchtiges Verhalten zu. Paulot
wirbelte herum, starr vor Schreck. Verschluckt hatte er sich bestimmt auch. Ich
sagte... erst mal gar nichts, denn ich wollte seine Überraschung ausnutzen. Ich
stürzte ins Totenzimmer, eine Hand in der Tasche und in dieser Hand meine
Pfeife. Durch die Verkleidung wirkte sie wie ein Revolver.
    „Hoch die Pfoten, Paulot!“ befahl ich.
    Der Junge war weniger blöd, als ich
angenommen hatte. Er wußte sehr gut, daß niemand — außer in Kriminalfilmen —
mit einer Waffe droht, die er nicht zeigt. Und 1942, als es an allem fehlte,
auch an Stoff, würde niemand so bekloppt sein, nur so zum Spaß seinen Mantel
durch Löcher zu verunzieren! Andererseits kapierte er sofort, daß ich nicht
gekommen war, um ihm mein Beileid auszusprechen. Er zögerte keine Sekunde.
    Irgend etwas Braunes wuchs an seiner
Hand, und er schoß als Begrüßungscocktail aufs Geratewohl ein paar blaue Bohnen
in meine Richtung. Eine flinke Kanone hatte er, aber meine Reflexe waren nicht
weniger flink. Ich hatte mich schon vor dem Feuerwerk zur Seite und auf den
Boden geworfen, und die Kugeln, die eigentlich für mich bestimmt waren,
verunstalteten die Wand hinter mir, falls das überhaupt noch möglich war. Gips
spritzte, Paulot fluchte. Ich war nicht hergekommen, um auf dem Boden zu liegen
und zu faulenzen. Also sprang ich auf die Beine, und als ich stand, war ich zu
zweit, wenn ich das mal so ausdrücken darf. Maillard wäre als Fliegengewicht
durchgegangen, wenn er noch hätte boxen können. Ich konnte ihn wie eine
Schaufensterpuppe festhalten und mich hinter ihm verstecken. Eine Leiche als
Schild! Paulot schoß noch immer, und Maillard wurde so sehr mit Blei
vollgepumpt, daß er eigentlich wieder hätte aufwachen müssen. Ein

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