Das fünfte Verfahren
Glück.“
Er wies auf die Regale, die für mich
von Interesse waren. Ich schnappte mir ein paar vergilbte Bücher, setzte mich
wieder hin und stopfte mir eine Pfeife. Während ich zu lesen begann, nahm mein
liebenswürdiger Gastgeber einige Broschüren mit demselben Thema zur Hand und
frischte sein Gedächtnis auf.
Ich war noch nicht auf irgend etwas
gestoßen, was mir hätte weiterhelfen können, als Marius Alicot einen Fluch
ausstieß.
„Mein Gedächtnis ist doch nicht so
vorzüglich, wie ich immer behaupte!“ rief er.
„Haben Sie was gefunden?“ fragte ich
gespannt.
„Ich glaub schon. Sagen Sie, bezieht
sich dieses Verfahren auf die Bohrungen oder die Förderung von Erdöl?“
„Keine Ahnung. Aber...“
Der Alte schlug mit dem Handrücken auf
die Broschüre, in der er gerade gelesen hatte, was eine leichte Staubwolke
aufwirbeln ließ.
„Dieser Artikel hier wird Sie
interessieren“, sagte er. „Ich könnte mich dafür ohrfeigen, daß ich nicht
gleich daran gedacht habe. Wenn das Fünfte Verfahren nicht das Hirngespinst
eines Verrückten ist, hat es eine bestimmte Bedeutung.“
„Ich habe die ganze Zeit angenommen,
daß es sich um etwas Besonderes handelt, aber... Erklären Sie’s mir bitte?“
Ich war gespannt wie ein Flitzebogen.
Genosse Alicot setzte sich neben mich auf einen wackligen Hocker mit
abgeschabtem Bezug.
„Bisher kennt man vier Verfahren, um
nach Erdöl zu bohren. Das erste ist so unzulänglich, daß man es spätestens 1882
aufgegeben hat. Danach sind drei andere Verfahren entwickelt worden, und jedes
bedeutete einen Fortschritt gegenüber dem vorhergehenden. Sei es, was die
Genauigkeit, sei es, was die Fördermenge des schwarzen Goldes betrifft...
Wußten Sie zum Beispiel, daß...“
Er überflog den Artikel, zögerte eine
Weile und las dann, mit dem Finger über die Zeilen fahrend:
„Die heutige Technik erlaubt es nicht,
die Gesamtmenge des jeweiligen Erdölfeldes zu fördern. Sowie die Quellen
erschöpft sind, suchen die Gesellschaften auf der ganzen Welt nach neuen
Vorkommen, um möglichst große Reserven anzulegen und so für einen eventuellen
höheren Verbrauch gewappnet zu sein. Dadurch entstehen immense Kosten, zumal
die Bohrungen zu 70 % ergebnislos verlaufen.“
Er schwieg und musterte mich. Ich
schwitzte vor Aufregung. Der Ofen stank mehr, als daß er wärmte, doch ich war
in Schweiß gebadet.
„Sind Sie der Meinung“, tastete ich
mich vor, „daß es nicht außergewöhnlich wäre, wenn ein Ingenieur ein neues
Verfahren entwickelt hätte, um die Kosten, die durch Lagerung und ergebnislose
Bohrungen entstehen, zu senken?“
„Das wäre der einzigmögliche Sinn
eines neuen Verfahrens. Aber vergessen wir nicht, daß wir es mit einem
Geistesgestörten zu tun haben“, fügte er hinzu.
„Er war aber nicht immer verrückt!“
rief ich. „Und für ihn interessieren sich sehr viele Leute, die auf mich ganz
und gar nicht den Eindruck machen, an Realitätsverlust zu leiden. Das Fünfte
Verfahren ist verdammt real!“
Marius Alicot horchte auf.
„Wie meinen Sie das?“ fragte er.
„Na ja, es gibt ein Fünftes Verfahren,
das wieder einmal einen Fortschritt gegenüber den bereits bekannten bedeutet.
Beweise haben wir keine, aber nehmen wir es ruhig einmal an. Glauben Sie, daß
dadurch die Weltwirtschaft völlig durcheinandergebracht würde?“
„Ganz sicher.“
„Und daß bestimmte Leute vor nichts
zurückschrecken würden, um sich dieses Verfahren unter den Nagel zu reißen?“
Der alte Lehrer lachte.
„Clemenceau hat einmal gesagt: Ein
Tropfen Erdöl ist soviel wert wie ein Tropfen Blut. Das kann man auf verschiedene
Art interpretieren.“
„Allerdings! Blut und Erdöl gehen
leicht eine Verbindung ein. Ein seltsames Hobby für einen Pazifisten! Obwohl...
Könnte eine solche Entdeckung den Krieg beenden?“
„Daß ich nicht lache!“ war die
Antwort. „Im Laufe der Jahre habe ich eine Illusion nach der anderen verloren.“
„Nehmen Sie mal an, Sie hätten noch
welche und Sie erfänden ein System, das erfolgreiche Bohrungen und erschöpfende
Ausbeutung der Felder erlaubte. Würde das nicht die — wie sagt man noch? —
imperialistische Expansion noch unausweichlicher machen?“
„Natürlich“, gab er zu. „Immer
vorausgesetzt, ich hätte meine Illusionen noch! Darüber hinaus müßte ich
allerdings noch einen verdammt hellen Kopf haben.“
„Victor Fernèse hatte beides“,
behauptete ich, „Illusionen und Köpfchen. Verrückt ist er erst
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