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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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ließ mich wissen, daß der Herr
Direktor seit zwei Tagen verreist sei und vor zwei weiteren Tagen nicht
zurückerwartet werde. Dieses Detail hatte mir der alte Trottel verschwiegen.
Ich erkundigte mich, ob es vielleicht einen stellvertretenden Direktor gebe
oder einen Stellvertreter des Stellvertreters. Frau Direktor — denn so etwas
Ähnliches mußte meine Gesprächspartnerin sein — nannte mir Monsieur Gautarel,
eine Straße weiter.
    Dort versuchte ich mein Glück.
Monsieur Gautarel war ein junger Mann mit sympathischem Äußeren.
    „Ich bin Privatdetektiv“, stellte ich
mich kurz und bündig vor, „und brauche so viele Informationen wie möglich über
Victor Fernèse, einen ehemaligen Ingenieur der Gesellschaft. Kennen Sie
jemanden, der ihn gekannt hat? Oder gehören Sie vielleicht selbst zu diesem
Personenkreis?“
    „Nein, das nicht“, antwortete er, wohl
auf die zweite Frage. „Ich bin erst seit einem Jahr hier. Persönlich habe ich
Fernèse nicht kennengelernt, habe aber von ihm gehört. Ich kann Sie mit
jemandem bekanntmachen, der Ihnen mehr erzählen kann.“
    Der Vorschlag war um so
verführerischer, als das Treffen in einer Art Scheune stattfinden sollte, in
der sich viele Leute viel Alkohol durch die Kehle schütteten. Bei geschlossenen
Türen und hinter dem Rücken von Marschall Petain, versteht sich.
    Der Mann, der Fernèse gekannt hatte,
war nicht mehr der Jüngste. Seine Trinkfreudigkeit bewies einmal mehr, daß
Alkohol gut konserviert. Monsieur Gautarel machte uns miteinander bekannt und
verabschiedete sich.
    Wir setzten uns ein wenig abseits an
einen Holztisch. Ich bestellte Rotwein und begann mit dem Interview. Ob er
Fernèse gekannt habe? Und ob! Ich las in dem Alten wie in einem aufgeschlagenen
Telefonbuch aus der Zeit, als Papier noch nicht knapp war. Das Ergebnis des
Frage- und Antwortspiels war jedoch gleich null. Ich suchte einen Kollegen des
Ingenieurs oder einen Gesinnungsgenossen, jemanden, der mit ihm
zusammengearbeitet hatte, dem er sich vielleicht anvertraut hatte. Der Alte
hier gab lediglich einen erstklassigen Saufkumpan ab. Auf meine Frage, ob er
jemanden kenne, der Fernèse noch besser gekannt habe, verzog er nur das Gesicht
und widmete sich dem Rotwein. Der Krieg habe alles so gründlich verändert,
meinte er dann. Und Matitch? Sage ihm der Name was? Nein, der Name sage ihm
nichts. Ein Freund von Fernèse, ein Ausländer. Ach, Ausländer? Nein, das sei kein
Freund von Fernèse gewesen, die beiden hätten nur zusammen gearbeitet. Ein
Freund... Tja, ob ich verstehe, was er meine? Freundschaft, das sei für ihn...
also, das sehe er so... Nun, mich interessiere mehr, wie er Sdenko Matitch
sehe, unterbrach ich ihn. Ob er etwas über ihn wisse? Nein, er wisse nichts.
Aber um auf die Freundschaft zurückzukommen...
    Gab es hier eigentlich nichts anderes
als Wein? Mir war inzwischen klar, daß ich die Reise umsonst gemacht hatte. So
wollte ich mir wenigstens ordentlich einen hinter die Binde gießen, sozusagen
als Entschädigung für meine Mühen. Der Wirt braue ein Zeug zusammen, erklärte
der Alte auf meine Frage hin, das man ganz gut schlucken könne. Ob ich
probieren wolle? Wir probierten. Es schmeckte wie Abbeiz-mittel. Der Wirt
zapfte bestimmt Erdöl von den umliegenden Feldern ab, um seine Mischung zu
fabrizieren.
    „Hören Sie“, lallte plötzlich mein
Gesprächspartner zwischen zwei Schlucken, „es gibt da einen, der sehr viel mehr
über Ihren Ausländer weiß. Und vielleicht auch über Fernèse. Raoul heißt er.
Matitch hat damals bei ihm gewohnt. Bis zu ihm sind’s zwei Kilometer von hier,
da können Sie heute noch zu Fuß hingehen. Raoul geht nie vor zwei ins Bett. Er
ist aus Toulouse, ein Stadtmensch. Hat andere Gewohnheiten als unsereiner.
Deswegen gehört ihm auch ‘ne Raststätte mit Pension, Zur Guten Quelle, wahrscheinlich wegen der Erdölfelder ringsherum. Früher hieß das nur
.Raststätte“, ganz einfach. Liegt direkt an der Straße nach Tarbes.“
    Er tauchte seinen fleckigen Finger in die
Schnapspfützen auf dem Tisch und zauberte wirre Linien aufs Holz.
    „Ach!“ rief er plötzlich. „Da fällt
mir ein, Sie kommen genau an Victors Haus vorbei! Ja, ja“, fügte er hinzu, als
er meine hochgezogenen Augenbrauen sah, „er hatte ein Haus! War früher schon
‘ne Bruchbude, aber jetzt... Jetzt wohnen da nur noch Eulen. Falls die nicht
auch schon Angst gekriegt haben...“
    Die Bildbeschreibung dauerte eine gute
Viertelstunde. Endlich kam er wieder auf

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