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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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keinerlei Wirkung.
    Kein Zweifel, zur Stunde bearbeiteten
Jackie Lamour und ihre Truppe von Traumtänzern gerade Victor Fernèse —
vorausgesetzt, sie waren nicht schon zum Ziel gekommen. Das geschah irgendwo in
Frankreich, in wohlbekannter, erprobter Art und Weise. Da ich die rund
fünfhunderttausend Quadratkilometer meines Vaterlandes nicht Stück für Stück
durchkämmen konnte, saß ich hier, soff und rauchte, soviel hineinging.
Vielleicht würde die Tänzerin mir eine Ansichtskarte schicken und mich
auffordern, sie zu besuchen.
    Apropos Karte: Eine hatte ich bereits
bekommen, von Hélène, meiner Sekretärin. Alles in Ordnung, schrieb sie, sie
habe sich keine Sorgen um mich gemacht. Diese Karte war der einzige
Sonnenstrahl in den rabenschwarzen Stunden. Zu wissen, daß meiner Sekretärin
Hélène nichts zugestoßen war, tröstete mich ein wenig.
    Von den Flics hörte ich nichts, was
mich hätte aufbauen können. Man stocherte in der Vergangenheit von André
Clément herum, versuchte rauszukriegen, wen er und wer ihn in den letzten Tagen
angerufen hatte. Alles für die Katz, das war meine Überzeugung. In der
verlassenen Wohnung hatte man eine Schildwache aufgestellt. Der Mann war
genauso überflüssig wie sein Kollege in der Villa am Cap de Croisette, der
vergeblich nach Jackies Beinen Ausschau hielt. Die beiden Flics konnten lange
warten. Um Jackie Lamour und André Clément zu Gesicht zu bekommen, mußte man
verdammt gute Augen haben! Kurz gesagt, Freund Florimond war genauso ratlos wie
ich. Da konnte auch keine Routine helfen. Mit ihm drehten sich seine beiden
Hilfssheriffs Bonvalet und Grégoire im Kreis. Die drei kamen mir vor wie die
Figuren auf dem Plakat für Ripolin — Lackfarben. Noch vorgestern hätte
ich mich über dieses Bild halbtot gelacht, aber heute konnte mich nichts
aufheitern. Außerdem hatte ich das dunkle Gefühl — die Farbe des Tages! — , daß
Faroux mir irgend etwas verheimlichte. Nach dem Motto: Wie du mir, so ich dir.
Ein schönes Vertrauensverhältnis war das! Ich setzte meinen Gedanken mit einem
Fausthieb auf den Tisch einen Schlußpunkt. Die Kellnerin deutete die Geste
falsch und kam angelaufen.
    „Noch einen?“ fragte sie.
    Ebenfalls aus Routine, hatte sie die
Flasche gleich mitgebracht.
    „Schön vollmachen“, sagte ich
fröhlich.
    Ja, fröhlich! Denn plötzlich sah ich
einen Hoffnungsschimmer. In meiner Verzweiflung hatte ich die Bedeutung von
Victor Fernèse ganz vergessen. Die Ereignisse hatten sich so schwindelerregend
überschlagen, daß ich keine Gelegenheit gesehen hatte, irgendeine Initiative zu
ergreifen. Doch nun fand ich im hintersten Winkel meines Gehirns eine Idee: Es
konnte nicht schaden, einfach mal das Städtchen Saint-Gaudens zu besuchen!
     
    * * *
     
    Am späten Nachmittag kam ich in
Saint-Gaudens an. Die Abenddämmerung verteilte ihre Schatten gleichmäßig über
die hügelige Landschaft. Jean Rouget kannte von Berufs wegen jeden zweiten
Lkw-Fahrer und hatte mir eine Mitfahrgelegenheit besorgt. Der Lastwagen
schaffte bei weitem keine 140 km/h, war als Fortbewegungsmittel aber viel
angenehmer als der Zug.
    Saint-Gaudens unterschied sich in
nichts von jedem beliebigen Provinzstädtchen. Außerhalb der geschlossenen
Ortschaft änderte sich jedoch das Bild. Hier und da sah man Bohrtürme, die der
Landschaft einen mexikanischen Anstrich verliehen, von der Kälte mal abgesehen.
Denn warm war es hier wirklich nicht. Ich konnte meinen Trenchcoat
wegschmeißen. Er schützte mich nicht vor dem eisigen Wind.
    Mein erster Besuch galt einer Art
Barackenlager. Auf einem Schild war zu lesen: South West Company. Ich
fühlte mich wie im Wilden Westen. Übertriebene Aktivität herrschte hier nicht
grade. Nur ein Mann, wahrscheinlich der Nachtwächter, hielt die Stellung. Hätte
mich nicht gewundert, wenn er sich als letzten Überlebenden von Reichshoffen
ausgegeben hätte. Tat er aber nicht. Der Mann hatte sowieso große
Schwierigkeiten, sich ordentlich auszudrücken. Nur mit Mühe brachte er die
Adresse eines Menschen heraus, der mir etwas über Victor Fernèse erzählen
konnte. Entweder war der letzte Mohikaner nicht sehr gesprächig, oder aber
seine Zunge zeigte die ersten Lähmungserscheinungen. Ich neigte zu der zweiten
Hypothese.
    Der Herr Direktor, wie ihn die
Nachtwächter-Ruine nannte, wohnte in der Stadt. Das hieß, ich konnte wieder
zurückgehen und das Haus suchen. Das war gar nicht so einfach, aber schließlich
gelang es mir. Die Frau, die mir öffnete,

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