Das fünfte Zeichen
mehr scheute, sie zu verletzen. Und dann hatte Toya so laut sie nur konnte geschrien, dass sie sie alle hasste. Bis Vater mit der Zeitung in der Hand aus dem Wohnzimmer kam und sie beide erkannten, dass sie nicht geloge n h atte. Hasste sie Lisbeth noch immer, jetzt, da es sie nicht mehr gab? Sie wusste es nicht. Nein. Heute hasste sie niemanden. Und sie tat auch nicht deshalb, was sie gerade im Begriff war zu tun. Sondern einfach aus Spaß. Und ja, auch weil es unanständig war. Und so unwiderstehlich verboten.
Sie gab dem Fahrer zweihundert Kronen, warf ihm ein L ä cheln zu und sagte, er könne das Wechselgeld trotz des Gestanks in seinem Wagen behalten. Erst als das Taxi losgefahren war, wurde ihr klar, warum der Fahrer sie so angestarrt hatte. Der Gestank ging nicht von ihm aus, sondern von ihr.
» Verflucht! «
Sie kratzte die Ledersohle des hochhackigen Cowboystiefels an der Bordsteinkante ab, hinterließ braune Streifen. Dann sah sie sich nach einer Pfütze um, aber die waren in Oslo seit bald fünf Wochen nicht mehr zu finden. Sie gab auf, ging zur Tür und klingelte.
» Ja? «
» Hier ist Aphrodite «, gurrte sie. Sie lächelte still.
» Und hier Pygmalion «, antwortete die Stimme.
Das war es!
Der Türschließer summte. Toya zögerte einen Augenblick. Letzte Möglichkeit zur Umkehr. Dann warf sie ihr Haar zurück und drückte die Tür auf.
Er stand mit einem Drink in der Hand in der Wohnungstür und erwartete sie. » Hast du es so gemacht, wie ich es dir gesagt habe? «, fragte er. » Hast du niemandem verraten, wo du hinwol l test? «
» Bist du verrückt? « Sie verdrehte die Augen.
» Vielleicht «, sagte er und öffnete die Tür einladend. » Komm rein und sag Galatea Guten Tag. «
Sie lachte, obwohl sie nicht die geringste Ahnung hatte, was er meinte. Lachte, obwohl sie wusste, dass etwas Schreckliches geschehen würde.
Harry fand ein Stück weiter weg im Markvei einen Parkplatz, machte den Motor aus und stieg aus dem Wagen. Zündete sich eine Zigarette an und schaute sich um. Die Straßen waren menschenleer, alle schienen sich nach drinnen verzogen zu haben. Die unschuldig weißen Wolken vom Nachmittag hatten sich in einen blaugrauen Teppichboden verwandelt, der den Himmel bedeckte.
Er folgte den Graffitifassaden der Mietshäuser, bis er vor der Tür ankam. Bemerkte, dass von seiner Zigarette nur noch der Filter übrig war, und warf sie weg. Klingelte und lauschte. Es war so schwül, dass sogar seine Handflächen schwitzten. Oder war es aus Angst? Er sah auf die Uhr und notierte sich die Zeit.
» Ja? « Die Stimme hörte sich irritiert an.
» Guten Abend, hier ist Harry Hole. «
Keine Antwort.
» Von der Polizei «, fügte er hinzu.
» Natürlich, tut mir Leid, ich war in Gedanken, kommen Sie rein. «
Die Tür summte.
Harry stieg die Treppe mit langen, langsamen Schritten hoch.
Sie standen beide in der Tür und warteten auf ihn.
» Holla «, sagte Ruth. » Jetzt geht ’ s aber gleich los, da draußen. «
Harry blieb vor ihnen auf dem Treppenabsatz stehen.
» Der Regen «, fügte das Trikot erklärend hinzu.
» Ah, Regen. « Harry wischte sich die Handflächen an der Hose ab.
» Wobei können wir Ihnen helfen, Hole? «
» Den Fahrradkuriermörder zu schnappen «, sagte Harry.
Toya lag zusammengerollt wie ein Embryo mitten auf dem Bett und betrachtete sich wohlgefällig in der ausgehängten Spiege l tür, die an der Wand lehnte. Lauschte dem Geräusch der Dusche eine Etage tiefer. Er wusch sie von sich ab. Sie drehte sich um. Die Unterlage passte sich weich ihren Formen an. To y a sah sich das Bild an. Sie lächelten in die Kamera. Ferien. Frankreich, vielleicht. Toya strich über die kühle Bettdecke. Auch sein Körper war kalt gewesen. Kalt, hart und muskulös für einen Mann seines Alters. Besonders der Po und die Oberschenkel. Das sei so, weil er Tänzer gewesen sei, hatte er gesagt. Er habe diese Muskeln fünfzehn Jahre lang jeden Tag trainiert, sie würden niemals mehr verschwinden.
Toya starrte auf den schwarzen Gürtel am Bund seiner Hose, die auf dem Boden lag.
Fünfzehn Jahre. Würden niemals verschwinden.
Sie wälzte sich auf den Rücken, stemmte sich im Bett hoch und hörte das Wasser auf der Innenseite der Gummimatratze glucksen. Doch von nun an würde alles anders werden. Aus Toya war ein nettes Mädchen geworden. Lieb. Genau so, wie Papa und Mama sie immer haben wollten. Sie war Lisbeth geworden.
Toya presste den Kopf an die Wand, sank noch ein
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