Das fünfte Zeichen
wenig tiefer. Etwas kitzelte sie zwischen den Schulterblättern. Es war, wie in einem Boot auf einem Fluss zu liegen. Wo dieser Gedanke jetzt nur wieder herkam?
Willy hatte gefragt, ob sie etwas dagegen habe, einen Dildo zu benutzen, während er zuschaute. Sie hatte mit den Achseln ge zuckt. Nett. Er hatte die Werkzeugkiste geöffnet. Sie hatte die Augen geschlossen, aber trotzdem hinter ihren Lidern die Lichtstrahlen gesehen, die durch die Dielen des Scheunenbodens fielen. Und als er in ihren Mund gekommen war, hatte es nach Silo geschmeckt. Aber sie hatte nichts gesagt. Brav.
Sie hatte brav zugehört, als Willy sie instruiert hatte, so wie Lisbeth zu singen und zu sprechen. Zu gehen und zu lächeln wie sie. Willy hatte der Maskenbildnerin ein Bild von Lisbeth gege ben und ihr erklärt, dass Toya so aussehen solle. Nur eines war ihr nicht geglückt: so zu lachen wie Lisbeth. Schließlich hatte Willy sie gebeten, es sein zu lassen. Manchmal war sie sich unsicher gewesen, wie viel das mit ihrer Rolle als Eliza Doolittle zu tun hatte und wie viel mi t W illys verzweifelter Sehnsucht nach Lisbeth. Und jetzt lag sie hier. Vielleicht hatte auch das mit Lisbeth zu tun, sowohl für ihn als auch für sie. Wie hatte Willy es ausgedrückt? Die Begierde suche sich stets die schwächste Stelle?
Es drückte sie wieder zwischen den Schulterblättern, und Toya rutschte irritiert hin und her.
Wenn sie ehrlich sein sollte – sie vermisste Lisbeth nicht so sehr. Nicht, dass sie nicht wie alle anderen geschockt gewesen war, als die Nachricht von dem Verschwinden sie erreicht hatte. Doch hatten sich dadurch auch eine ganze Reihe neuer Türen für sie geöffnet. Toya war interviewt worden, und Spinning Wheel hatte gerade eine Anfrage bekommen, im Gedenken an Lisbeth ein paar gut bezahlte Konzerte zu geben. Und jetzt die Hauptro l le in My Fair Lady. Die noch dazu ein Triumph zu werden versprach. Auf der Premierenfeier hatte Willy gesagt, sie müsse sich jetzt wohl darauf vorbereiten, richtig prominent zu werden. Ein Star. Eine Diva. Sie schob die Hand unter ihren Rücken. Was störte sie da so? Ein Klumpen. Unter dem Laken. Er verschwand, wenn sie draufdrückte. Kam aber wieder. Sie musste das herausfinden.
» Willy? «
Sie wollte lauter rufen, um die Dusche unten zu übertönen, aber dann fiel ihr ein, dass Willy ihr eingeschärft hatte, ihre Stimme zu schonen. Denn nach dem freien Tag heute würden sie an jedem Abend der Woche spielen. Als sie gekommen war, hatte er sie sogar gebeten, doch bitte nichts zu sagen. Dabei hatte er vorher angekündigt, er wolle mit ihr ein paar Dialoge durchgehen, die noch nicht ganz gesessen hatten, und sie der Echtheit wegen aufgefordert, sich wie Eliza zu schminken.
Toya löste das Spannbetttuch an einer Ecke des Wasserbetts und zog es zur Seite. Es befand sich keine Unterlage darunter, nur die blaue, leicht transparente Gummimatratze. Aber was hatte sie dann so gedrückt? Sie legte die Hand auf die Matratze. Da war es, unter dem Gummi. Sie konnte einfach nichts erkennen. Toya streckte sich zur Seite, schaltete das Licht auf dem Nachtschränkchen ein und drehte die Lampe so, dass der Lichtschein direkt auf die fragliche Stelle fiel. Der Klumpen war wieder verschwunden. Sie legte die Hand auf das Gummi und wartete. Und da war es wieder, langsam, und sie begriff, dass es sich um etwas handeln musste, das sank, wenn sie draufdrückte, und dann wieder langsam nach oben stieg. Sie nahm die Hand weg.
Zuerst zeichneten sich unter dem Gummi nur die Konturen ab. Wie ein Profil. Nein, nicht wie ein Profil. Ein Profil. Toya lag auf dem Bauch. Sie hielt den Atem an. Denn jetzt spürte sie es. Im Bauch und bis hinunter in die Zehen. Dass dort drin unter dem Gummi ein ganzer Körper war. Ein Körper, den die Schwerkraft hinabzog, während der Auftrieb ihn zu ihr nach oben drückte, zwei Menschen gleich, die sich zu vereinen suchten. Und vielleicht waren sie das. Denn ihr war, als schaute sie in einen Spiegel.
Sie wollte schreien. Wollte ihre Stimme zerstören. Wollte nicht mehr nett sein. Oder brav. Wollte wieder Toya sein. Aber es gelang ihr nicht. Sie konnte bloß auf das blasse, blaue Gesicht ihrer Schwester starren, das sie aus leeren Augenhöhlen ansah. Und der Dusche lauschen, die wie ein Fernseher nach Send e schluss rauschte. Und dem Tropfen von Wasser auf dem Parkett hinter ihr, am Fußende des Bettes, das ihr sagte, dass Willy nicht mehr unter der Dusche war.
» Er kann es nicht sein «, sagte
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