Das fünfte Zeichen
«
» Immer wieder der gleiche Höllentrip. «
» Mit dem Fahrstuhl? «
» Ich weiß genau, was geschehen wird, hab aber jedes Mal diese Angst. Wie schnell kannst du hier sein? «
» Das gefällt mir nicht, Harry. «
» Wie schnell? «
Øystein seufzte. » Gib mir sechs Minuten. «
Harry stand in Jeans in der Tür, als Øystein die Treppe hoc h kam.
Sie setzten sich ins Wohnzimmer, ohne das Licht anzumachen.
» Hast du ein Bier? « Øystein nahm seine schwarze Playstation-Kappe ab und strich sich das dünne, verschwitzte Haar nach hinten.
Harry schüttelte den Kopf.
» Na dann «, sagte Øystein und stellte einen schwarzen Zylinder auf den Tisch. Eine Filmdose. » Die geht auf mich. Flunipam. Betäubung garantiert. Eine Pille ist mehr als genug. «
Harry starrte lange auf das Döschen. » Deshalb habe ich dich nicht hergebeten, Øystein. «
» Nicht? «
» Nein. Ich muss was über Decodierung wissen. Wie man da vorgeht. «
» Du meinst hacken? « Øystein starrte Harry überrascht an. » Willst du ein Passwort rauskriegen? «
» In gewisser Weise. Du hast doch sicher in den Zeitungen was über den Serienmörder gelesen? Ich glaube, er hinterlässt uns Codes. « Harry schaltete eine Lampe ein. » Sieh mal hier. «
Øystein betrachtete das Blatt, das Harry auf den Tisch gelegt hatte. » Ein Stern? «
» Ein Pentagramm. Er hat das an zwei Tatorten zurückgelassen. Eines war in den Balken überm Bett geritzt und eines in einem Laden gegenüber dem Tatort in den Staub auf einem Fernse h schirm gemalt worden. «
Øystein sah sich den Stern an und nickte. » Und du glaubst, dass ich dir sagen kann, was das bedeutet? «
» Nein. « Harry stützte den Kopf in die Hände. » Aber ich habe die Hoffnung, dass du mir was über Decodierung sagen kannst. «
» Die Codes, die ich geknackt habe, waren mathematische Codes, Harry. Zwischenmenschliche Codes haben eine andere Semantik. So schaffe ich es zum Beispiel noch immer nicht zu dechiffrieren, was Frauen eigentlich von mir wollen. «
» Stell dir vor, es handelt sich um beides. Sowohl einfache Logik als auch eine Botschaft zwischen den Zeilen. «
» Okay, in dem Fall reden wir von Kryptografie. Versteckter Schrift. Und um die zu sehen, braucht es sowohl Logik als auch das so genannte analoge Denken. Für Letzteres nutzt man Unterbewusstsein und Intuition, also genau das, von dem man nicht weiß, dass man es weiß. Und dann muss man das lineare Denken, die Logik, mit dem Wiedererkennen von Mustern kombinieren. Hast du schon mal was von Alan Turing gehört? «
» Nein. «
» Ein Engländer. Der hat im Krieg die deutschen Verschlüss e lungscodes dechiffriert. Anders ausgedrückt, er hat den Zweiten Weltkrieg gewonnen. Er hat behauptet, dass man , um einen Code zu knacken, erst einmal die Dimension kennen muss, in der die Gegenseite denkt. «
» Und das bedeutet? «
» Ich meine die Ebene über den Buchstaben und Zahlen. Über der Sprache. Antworten, die nicht erklären wie, aber warum. Verstehst du? «
» Nein, aber verrat mir, wie man das macht. «
» Das weiß keiner. Es hat was mit quasi-religiöser Eingebung zu tun. Ist mehr so eine Art Gabe. «
» Lass uns annehmen, dass ich das Warum kenne. Was dann? «
» Du kannst den langen Weg gehen. Bis an dein Lebensende alle Möglichkeiten durchkombinieren. «
» Nicht ich bin es, der hier stirbt. Ich hab nur Zeit für den kurzen Weg. «
» Dann kenne ich nur eine Methode. «
» Und die wäre? «
» Trance. «
» Natürlich. Trance. «
» Ich mach keine Witze. Du starrst unablässig auf die Inform a tion, bis du aufhörst, bewusst zu denken. Das ist, wie einen Muskel zu überlasten, so dass er einen Krampf bekommt und ein Eigenleben zu führen beginnt. Hast du das schon mal mitg e kriegt, wenn ein Kletterer, der nicht weiterweiß, im Bein die Nähmaschine bekommt? Nein, nicht? Genau so ist das jede n falls. Achtundachtzig habe ich es im Laufe von vier Nächten und mit einem kleinen Tropfen gefrorenem LSD bis in das Kontensystem der Dänischen Bank geschafft. Wenn es deinem Unterbewusstsein gelingt, den Code zu knacken, hast du ’ s. Wenn nicht … «
»Ja?«
Øystein lachte. » Knackt es dich. Die Psychiatrie ist voll von Leuten wie mir. «
» Hmm. Trance. «
» Trance. Intuition. Vielleicht mit einer kleinen Prise pharm a zeutischer Hilfe … «
Harry nahm das schwarze Döschen und hielt es vor sich in die Höhe.
» Weißt du was, Øystein? «
» Was? «
Er warf die Dose über den Tisch,
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