Das ganze gleich nochmal
Gabe und Luisa tatsächlich Houston zutrauten, ein Verbrecher gewesen zu sein, waren sie selbst höchstwahrscheinlich keine. Das bedeutete allerdings auch, dass sie einem mutmaßlichen Kriminellen Zuflucht geboten hatten.
“Nein”, versicherte sie, “er hat niemals etwas Verbotenes getan.” Jetzt war die Reihe, Fragen zu stellen, an ihr. “Wie sind Sie beide eigentlich auf Houston Smith gestoßen? Wo haben Sie ihn gefunden?” Carley hielt sich für eine gute Menschenkennerin. Falls einer der beiden log, würde sie das bestimmt erkennen.
Luisa hielt ihrem Blick stand und antwortete klar und deutlich. “Ich habe ihn auf einer verlassenen Straße in dieser Gegend gefunden. Er war blutig geschlagen und außerdem angeschossen. Ich habe ihn in meine Praxis gebracht, weil ich ihm das Sterben erleichtern wollte. Aber er ist zäh. Nach zehn Tagen begann er, sich wieder zu erholen. Allerdings wusste er nicht mehr, was mit ihm geschehen war.” Sie seufzte bekümmert. “Wahrscheinlich ist das auch ganz gut so.”
Es schmerzte Carley, sich vorzustellen, was mit dem Mann, den sie liebte, passiert war. “Dann glauben Sie also, dass die Amnesie durch Schläge auf den Kopf ausgelöst wurde?”
“Natürlich, was sonst?”, erwiderte Luisa grimmig. “Es hat mich sogar überrascht, dass er nicht blind oder taub ist und überhaupt noch klar denken kann.”
Als die Ärzte Carley damals Bettruhe verordneten, war sie tief frustriert gewesen, weil sie Witt nicht helfen konnte. Im Moment erging es ihr ähnlich, doch sie wehrte sich dagegen. Er lebte, es ging ihm gut, und sie und Cami waren hier und würden dafür sorgen, dass er nie wieder allein war.
Carley sah ihr Gegenüber scharf an. “Warum haben Sie den Sheriff nicht verständigt?”
Zum ersten Mal wirkten Luisa und Gabe verunsichert.
“Wir … ja, also … ich … als mir klar wurde, dass er es schaffen würde”, begann Luisa, “mochte ich den Jungen bereits sehr gern. Ich habe angenommen, dass er gesucht wird. Er hatte aber schrecklich gelitten. Was ist denn schon dabei, wenn man jemandem einen Neuanfang ermöglicht? Schließlich erinnerte er sich nicht mehr an seine früheren Taten. Warum sollte er die Konsequenzen von etwas tragen, das er vergessen hat?”
Gerührt stellte Carley fest, dass unter der rauen Schale der Ärztin ein weiches Herz schlug. Allerdings musste sie noch mehr erfahren. “Beschreiben Sie mir doch bitte die Stelle, an der Sie ihn gefunden haben”, verlangte sie.
“Werden wir hier verhört, junge Frau?”, fragte Luisa. “Es klingt, als hätten Sie schon früher Leute befragt. Möchten Sie uns nicht vielleicht doch noch etwas mitteilen?”
“Beantworten Sie zuerst meine Fragen”, verlangte Carley und bedachte ihr Gegenüber mit ihrem härtesten Blick.
Luisa nickte bedächtig. “Na schön. Es war kurz vor Sonnenaufgang. In der Nacht hatte ich einer Frau geholfen, Zwillinge zur Welt zu bringen.” Sie zögerte einen Moment, ehe sie fortfuhr: “Die Leute lagerten am Fluss. Die Grenzpolizei fand sie, und ich wurde verständigt, weil es schon zu spät war, um etwas anderes zu unternehmen.”
Doc Luisa veränderte die Haltung auf dem harten Stuhl.
“Wie auch immer, auf dem Rückweg nahm ich die Abkürzung über die Uferstraße und sah im Licht der Scheinwerfer ein Hindernis. Ein Tier, dachte ich. Es lief aber nicht weg, als ich näher kam. Also bin ich ausgestiegen, um nachzusehen. Zuerst glaubte ich, der Mann wäre tot, aber dann merkte ich, dass sein Herz noch schlug. Ich habe ihn in meinen Wagen gehievt und ihm geholfen, so gut ich konnte.”
“Sonst haben Sie niemanden gesehen? Sie haben auch nichts gefunden, das einen Hinweis darauf geben könnte, was mit ihm geschehen war?”
Luisa zuckte mit den Schultern. “Nein. Allerdings habe ich auch nicht lange gesucht. Ich hatte ziemlich viel zu tun, wie Sie sich vorstellen können.”
Carley brauchte unbedingt jede nur erdenkliche Information. “Er war angeschossen worden. Was ist mit der Kugel? Haben Sie das Geschoss noch?”
“Es hat seinen Körper glatt durchschlagen. Später bin ich noch einmal zu der Stelle gefahren und habe nach seiner Brieftasche und einer Waffe gesucht. Ich habe aber nichts gefunden. Es war bei uns in der Gegend lange Zeit so trocken, dass es nicht einmal Reifenspuren gab.” Als Carley schwieg und über alles nachdachte, fragte Luisa: “Arbeiten Sie vielleicht für die Polizei, Mädchen?”
Carley nickte und fügte hinzu, dass sie keine
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