Das ganze gleich nochmal
jedenfalls eine wichtige Rolle gespielt.”
Carley beugte sich zu ihm und legte ihm die Hand auf den Arm. “Reid war immer ein guter Freund. Er hat mir nach deinem Verschwinden in einer sehr schweren Zeit geholfen. Er war auch stets ein sehr anständiger Vorgesetzter. Und er wird nicht ruhen, bis er herausfindet, was damals mit dir geschehen ist.”
“Glaub mir, das würde ich auch sehr gern herausfinden.” Houston fasste sich an die Schläfen, hinter denen erneut heftiger Schmerz einsetzte. Dabei hatte er schon gehofft, diesen Schmerz endlich los zu sein. Offenbar war das nicht der Fall, und wahrscheinlich verschwand er erst, wenn alle Fragen, die ihm auf der Seele brannten, beantwortet waren.
“Brauchen Sie denn sofort Hilfe, Special Agent Mills?” Reid Sorrels’ Sekretärin hatte sich unter seiner Rufnummer gemeldet. Das bedeutete, dass der Chef unterwegs war.
“Nein”, erwiderte Carley. “Können Sie mir sagen, wie ich Reid erreiche?”
“Nein, tut mir leid. Er hat hinterlassen, dass er zwei Tage nicht im Haus sein wird. Meines Wissens hat ihm ein Kinderschmuggler, den wir verhaftet haben, einen Hinweis auf einen der wichtigsten Männer im Händlerring gegeben. Es soll sich um jemanden handeln, der sich an der Grenze in Ihrer Nähe aufhält. Sie könnten es über Reids Pieper versuchen, aber vielleicht kann er nicht gleich zurückrufen.”
Carley bedankte sich und schaltete das Spezialhandy aus, das sie stets bei Einsätzen benutzte. Es frustrierte sie, dass ihr Boss schon die Initiative ergriffen hatte. Methodisch überlegte sie, welche Folgen das für sie hatte.
Erstens bedeutete es, dass sie noch zwei Tage Zeit hatte, um sich wegen Houston Smith Klarheit zu verschaffen. Da er nicht auf seine Vergangenheit zurückgreifen konnte, hatte er für sein neues Leben auch neue Regeln aufgestellt. Und das hatte ihn zu falschen Vermutungen geführt, was sie und Cami betraf. Sie musste nun entscheiden, wann und wie sie ihm die Wahrheit beibrachte. Das sollte bald geschehen. Je länger sie ihn in dem Glauben ließ, sie hätte nach der Trennung von ihm eine Affäre gehabt, aus der Cami stammte, desto schlimmer wurde es, wenn er erfuhr, dass er selbst der Vater war.
Andererseits war es riskant, wenn er herausfand, wie locker und sorglos er früher als Witt Davidson mit Sex umgegangen war. Das würde ihn an seinem Selbstbild zweifeln lassen, und diese Zweifel wiederum konnten seine psychische Stabilität gefährden. Keinesfalls wollte Carley bei dem Mann, in den sie sich erneut verliebt hatte, eine Identitätskrise auslösen.
Damit war sie bei dem zweiten Problem angelangt. Sobald Reids Einsatz beendet war, würde er verlangen, dass sie sich wieder an der Operation beteiligte. Bis dahin blieben ihr nur wenige Tage. Was wurde dann aus Houston? Reid würde niemals zulassen, dass er auf der Ranch blieb und einfach weitermachte wie bisher.
Ohne Gedächtnis war Houston angreifbar und völlig schutzlos. Wer immer ihn vor anderthalb Jahren auf dieser einsamen Straße zurückgelassen hatte, war überzeugt gewesen, dass Houston tot war. Was geschah, wenn der Täter von damals erfuhr, dass Houston noch lebte und ihn vielleicht eines Tages wiedererkennen konnte?
Ihr schauderte bei der Vorstellung, welche Gefahr Houston drohte, weil er seinen potenziellen Mörder vergessen hatte. Nein, Reid würde niemals zulassen, dass einem seiner Agenten etwas zustieß. Andererseits konnte das FBI nicht auf Dauer einen Beschützer für Houston abstellen. Was also sollte aus ihm werden?
Carley wollte sich im Moment nicht weiter mit den möglichen Folgen beschäftigen. Darum schob sie das ganze Problem erst einmal von sich und konzentrierte sich auf Reids Anweisung, Houston vor allem Schaden zu bewahren.
Das vordringlichste Problem war für sie ihre Einstellung zu Houston. Während sie an diesem Nachmittag zur Ranch zurückgeritten waren, hatte sie beschlossen, auf seinen Versuch einzugehen, zwischen ihnen eine neue Beziehung aufzubauen. Auf diese Weise konnte sie ihn während der noch verbleibenden Zeit am besten beschützen. Und sie erhielt einen kleinen Aufschub und konnte Ordnung in ihre Gefühle bringen.
Liebte sie Houston Smith wirklich so sehr, wie sie glaubte? Wenn ja – was war aus ihrer Liebe zu Witt Davidson geworden? Konnte sie ihre frühere Liebe vergessen und so tun, als gäbe es Witt Davidson nicht mehr? In dieser Hinsicht sah sie einfach nicht klar. Vielleicht half es ihr, wenn sie ein paarmal mit Houston ausging
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