Das ganze gleich nochmal
sie, während er sich um seine anderen Pflichten kümmerte.
Schon vor einiger Zeit war Cami unter einem der langen Klapptische eingeschlafen. Carley schickte sie mit einem der Mädchen zum Hauptgebäude zurück und ließ Rosie bitten, die Kleine ins Bett zu bringen.
Der Nachmittag war so schön gewesen, dass Carley beinahe die bösen Vorahnungen vom Vormittag vergessen hatte. Nun saß sie in der Abenddämmerung mit Doc Luisa auf Gartenstühlen, betrachtete die friedlich wirkende Landschaft und sah den Kindern bei einem Softballspiel zu. Die Betreuerinnen übernahmen die Stelle der Trainer, und Gabe war der Schiedsrichter. Die Grillfeuer waren gelöscht, und Lloyd räumte zusammen mit zwei Rancharbeitern auf und brachte seine Sachen weg.
Carley sah sich um und fand Houston nirgendwo. “Wissen Sie, wo Houston steckt, Doc?”
Die Ärztin nickte und zeigte zu den Bäumen auf der anderen Seite des Teichs. “Da drüben ist er. Er stützt sich mit einem Fuß auf einen Baumstumpf.”
“Ja, jetzt sehe ich ihn. Mit wem unterhält er sich denn so ernst?”
“Das ist Carlos, der junge Mann, der in dieser Woche die Schule abgeschlossen hat.” Die Ärztin veränderte die Haltung, um die beiden genauer beobachten zu können. “Houston möchte ihn dazu bringen, auf der Ranch zu bleiben, hier als Teilzeitkraft zu arbeiten und seine Ausbildung fortzusetzen. Der Junge ist sehr klug. Er hat ein Stipendium für vier Jahre am örtlichen College erhalten.”
“Houston berät ihn?”, fragte Carley überrascht.
“Er kann sehr gut mit Jugendlichen umgehen”, versicherte die Ärztin. “Er ist geduldig und zeigt viel Verständnis. Und er hört sich unvoreingenommen ihre Probleme an. Indem er ihnen beibringt, wie auf einer Ranch gearbeitet wird, hilft er Ihnen gleichzeitig, erwachsen zu werden.”
“Verstehe. Und dieser junge Mann, dieser Carlos, möchte nicht mehr zur Schule gehen?”
Die grauhaarige Ärztin schüttelte den Kopf. “Es dreht sich bei ihm nicht grundsätzlich um die weitere Ausbildung, sondern um die Umgebung. Carlos möchte das Landleben hinter sich lassen und sein Glück in der Großstadt versuchen. Er hat Freunde, die in der Gegend von Galveston auf den Ölfeldern arbeiten und dort ihr Glück machen wollen.” Doc Luisa lächelte. “Houston ist überzeugt, dass Carlos zu klug ist, um einem solchen Luftschloss nachzujagen. Er muss sich nur mit der Realität abfinden, bevor es zu spät ist. Ich wette, Houston schafft es, ihn zu überreden.”
“Diese Seite kenne ich bei ihm gar nicht.” Carley schwieg eine Weile nachdenklich. Schon wollte sie der Ärztin weitere Fragen über den veränderten Mann stellen, den sie liebte, als sie Rosie entdeckte. Das Mädchen kam aus dem Stall und lief zu ihr. Carley sprang auf. “Rosie, was ist los? Geht es um Cami? Ist etwas nicht in Ordnung?”
Rosie traf völlig atemlos bei ihr ein, schnappte nach Luft, schüttelte den Kopf und versuchte zu sprechen. “Mit Cami ist alles in Ordnung”, stieß sie endlich hervor. “Mit den Kindern ist überhaupt alles in Ordnung, aber ich muss gleich wieder zurück. Ich kann Rachel mit ihnen nicht lange alleinlassen.”
“Warum bist du dann überhaupt zu uns gekommen?”
Carley drehte sich beim Klang von Houstons tiefer Stimme rasch um. Offenbar hatte auch er Rosie gesehen und war mit seinen langen Beinen viel schneller als das Mädchen gewesen.
“Warte, bis sie sich erholt hat”, bat Carley und wandte sich wieder an Rosie, die noch immer nach Luft schnappte. “Lass dir Zeit. Wenn mit den Kindern alles in Ordnung ist und das Haus nicht brennt, können wir ruhig noch eine Weile warten.”
“Da ist eine Frau von der Behörde beim Haus”, berichtete Rosie aufgeregt. “Sie hat ihren Namen genannt. Eine Miss Frizio oder so ähnlich.” Das Mädchen beruhigte sich allmählich und konnte wieder zusammenhängend sprechen. “Sie hat gesagt, dass ich bei der Feier nicht stören soll, aber …”
“Miss Fabrizio? Sie kommt so spät an einem Freitagabend hierher?” Carley gefiel das gar nicht. “Hat sie gesagt, was sie bei uns will?”
Rosie nickte. “Sie bringt einen neuen Zögling von der Fürsorge zu uns. Ich habe den kleinen Jungen noch nicht gesehen. Sie wollte ihn gerade aus dem Wagen holen.” Rosie verkrampfte nervös die Finger ineinander. “Ich habe mir gedacht, dass es nicht richtig ist, wenn ein neues Kind ins Heim kommt, ohne dass einer von den Erwachsenen dabei ist. Darum habe ich mich zur Küchentür
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