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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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er …«
    Ich klammerte mich an den Schreibtisch, die Sonne schien plötzlich unerträglich hell durch die Fensterfront. Ich ging hinüber zu den Bücherregalen und fand schnell, wonach ich suchte: zwei Bücher, die ganz unten nebeneinander standen. Eines war eine vom häufigen Lesen ganz zerfledderte Taschenbuchausgabe von Robert Tressells Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen . Das andere war deutlich schwerer, ein gebundener Foliant der gesammelten Werke William Shakespeares – allerdings eine billige Ausgabe, die Sorte, die man überall auf der Welt in den Discount-Buchhandlungen findet, mit einem kleinen dreieckigen Loch unten auf der Innenseite des Schutzumschlags, wo zuvor der Preis gestanden hatte. Es war die Sorte Buch, die jemand kauft, der die Kultur zwar liebt, sie sich aber eigentlich kaum leisten kann. Ich schlug die Titelseite auf und las die Widmung, die dort vor über zwanzig Jahren mit sehr akkurater Handschrift hineingeschrieben worden war.
    Für Donnie,
    Du erfüllst mich mit Stolz. Nun geh und mach Dich selbst stolz.
    Alles Gute für Deine Zukunft,
    Paul
    28. August 1989
    Ich fuhr mit dem Finger über die Worte, folgte den Linien der Schrift und erinnerte mich. Dann lehnte ich mich, die Arme vor der Stirn verschränkt, gegen das Bücherregal und weinte.
    * * *
    »Hallo«, sagte er. »Ich bin Mr. Cardew.«
    Es war ein warmer Morgen im Spätsommer des Jahres 1982. Ich saß an einem Tisch im Versammlungsraum des Instituts für junge Straftäter in Auchentiber. An den grauen Metallbeinen, die mit dem Boden verschraubt waren, damit niemand den Tisch als Waffe missbrauchen konnte, blätterte der Lack. Die Holzplatte war bedeckt von einem irrwitzigen Gemälde aus Graffitis, manche von ihnen mit Tinte gekritzelt, andere eingeritzt, wieder andere eingeritzt und dann mit Tinte gefüllt. Einige von ihnen stammten noch aus den Sechzigern, und alle brüllten sie: »Ich war hier!«
    Skins. UDA. Rab McPherson ist eine Schwuchtel. IRA. Would you like to try a cheeseburger, Bobby Sands? UK Subs. Anarchy. Nigger, verpisst euch. Stevie 12/3/72. Wer einen geblasen haben will: um 16:30 hinterm Gewächshaus. Celtic. Fickt die Bullen. National Front.
    In eine Ecke hatte jemand ein Gedicht geschrieben:
    Sid ist tot
    Aber nicht für mich
    Denn ich bleibe
    Anarchist
    Die Wände waren schiefergrau lackiert. Dort wo die Farbe abblätterte, sah man die schmutzig-roten Ziegel. Durch die vergitterten Fenster hinter ihm schien die Sonne, als er seine Krawatte lockerte und sich mir gegenüber auf einen orangefarbenen Plastikstuhl setzte. »Was für ein herrlicher Tag«, sagte er. Dann drehte er sich zu dem Aufseher um, der am hinteren Ende des Raumes an einem Tisch saß und den Daily Record las. »Archie, denken Sie, wir könnten vielleicht ein Fenster öffnen?«
    Er war eloquent. Gut gekleidet. »Ein feiner Pinkel«, hätte mein Vater gesagt. Er zog einen blauen Ordner hervor, den er auf dem Tisch platzierte. Dann kramte er ein Päckchen Zigaretten aus der Hemdtasche – Capstan, die starken, ohne Filter – und legte es oben auf die Mappe. Ich erinnere mich daran, wie er roch, an sein Rasierwasser – Old Spice, wie ich später herausfand –, das sich mit dem abgestandenen Gestank Tausender Zigaretten verband, die in diesem Raum gequalmt worden waren. Mr. Cardew trug einen schweren, dunklen Anzug, dem selbst ich ansah, dass er altmodisch war. Sein Haar, das an den Schläfen ergraute, hatte er mit Frisiercreme zurückgekämmt. Sein Gesicht war fleckig, mit geplatzten Äderchen auf den Wangen und schweren Tränensäcken unter den müden Augen. »Also, William«, gähnte er, »erzähl mir ein wenig von dir.«
    Daran erinnere ich mich sehr deutlich. Denn darum hatte mich noch nie jemand gebeten. »Ich … meine Kumpels und ich …«, meine Stimme war ein dünnes Flüstern, »wir, wir …« Ich schluckte.
    »Nein, mein Junge.« Er beugte sich vor und tippte auf den Ordner. »Ich weiß, was du getan hast. Ich will, dass du mir von dir erzählst.«
    Zum ersten Mal sah ich ihm in die Augen. Ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg, denn ich hatte wirklich keine Ahnung, was er meinte. »Was denn von mir?«, fragte ich schließlich.
    »Na ja, was machst du denn gerne? In deiner Freizeit?« Ich starrte auf die Tischplatte. Bob Marley. King Kenny. Ein Schwanz mit Eiern, borstigen Sackhaaren und drei Spermaspritzern über der Eichel. Ein Strichmännchen mit riesigen Brüsten und krakeligem Busch. Scheiß Bullenschweine

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