Das Gebot der Rache
das Ende der Pause ankündigte und die Spannung sich löste. Fulton ließ Banny los, bohrte ihm einen Finger in die Brust und sagte: »Mr. McMahons Büro. Sofort. Und der Rest von euch geht bitte in die Klasse.«
Als Banny Fulton zum Büro des Direktors folgte, drehte ich mich um und sah dem Professor nach. Er war bereits am anderen Ende des Ganges. Ohne sich umzublicken, eilte er durch das Meer aus Harringtons, Parkas und Dufflecoats davon.
7
Nachdem Robertson gegangen war, saß ich in meinem Büro und dachte einen Moment lang darüber nach, ein wenig an meinem Drehbuch zu arbeiten. Diesem Ding, das ich ab und an hervorkramte, um mir einzureden, dass mehr in mir steckte als bloß ein popeliger Lokalzeitungs-Kritiker. Dass eines Tages ein erfolgreicher Film nach diesem Stückwerk gedreht werden würde. Es war eine Art Science-Fiction-Katastrophen-Story, angesiedelt in einer dystopischen Zukunft, einer postapokalyptischen Welt, in der die Gesellschaft quasi ins Mittelalter zurückgefallen ist. Aber ich hatte das Teil schon seit ein paar Wochen nicht mehr angefasst, also verwarf ich den Gedanken recht schnell. Stattdessen beendete ich die DVD-Besprechung und versuchte mich an einem dezenten Anstrich von Kritik, in der vagen Hoffnung, er würde die redaktionelle Bearbeitung überstehen (»… auch wenn manche die Vorgeschichte womöglich ein wenig plump finden mögen …«).
Mein Büro war im Prinzip ein gläserner Kasten, der aus der östlichen Seite des Hauses herausragte, von der man auf das etwa eine halbe Meile entfernt gelegene Bennet-Farmhaus blickte, das seit gut einem Jahr von Mrs. Kramer – Irene – gemietet wurde. Mein Schreibtisch stand direkt am Fenster. Ich hatte schon den einen oder anderen spektakulären Sonnenuntergang von dort beobachten dürfen. Auf dem Tisch standen gerahmte Fotografien: Walt und ich, lachend, draußen am Pool, aufgenommen vor ein paar Jahren. Sammy und ich, beide in Abendgarderobe, fotografiert auf einer der Weihnachtsfeiern ihrer Eltern. Walt, der Herby – damals noch ein Welpe – knuddelt, die lange, schlabbrige Zunge des Hundes regelrecht um seinen Hals geschlungen. Ich nahm das Foto und steckte es in die obere Schublade, um es nicht mehr sehen zu müssen.
Ich spielte mit meinem Text herum, kürzte ihn, verschob einzelne Sätze, setzte neue Absätze. Und ehe ich mich versah, starrte ich ins Leere, versunken in Erinnerungen an Schottland.
Plötzlich wurde mir bewusst, wie oft ich in letzter Zeit an meine Kindheit gedacht hatte. Jedoch nicht auf eine allgemeine Art und Weise, wie wir alle uns ständig an sie erinnern, sondern an ganz bestimmte Momente und Menschen. Warum tat ich das auf einmal? Die Antwort lag auf der Hand. Weil du den Hund gefunden hast, mit aufgerissenem Bauch, als wäre er seziert worden. Weil du den Ruf der Gewalt gehört hast, oder etwa nicht? Und noch bevor mir klar wurde, was ich da eigentlich tat, hatte ich den Namen bei Google eingegeben. Ohne große Erwartungen überflog ich die Suchergebnisse. Immerhin war er kaum das, was man eine Berühmtheit nennen konnte. Dementsprechend hielt ich es für relativ unwahrscheinlich, dass einer der Links auf meinem Bildschirm tatsächlich auf ihn verweisen könnte:
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Und dann, ganz unten, als vorletztes Suchergebnis auf der ersten Seite, fand ich die Worte »Mann aus Rutherglen stirbt bei Hausbrand« und einen Link zur Internetseite der Glasgower Tageszeitung Evening Times .
Mein Unterarm spannte sich an. Widerstrebend klickte ich auf den Link, wobei ich mir immer noch einredete, dass es in Glasgow sicher unzählige Paul Cardews gab.
Als sich die Seite öffnete, erschien erst oben links das rot-weiße Logo der Evening Times und dann darunter das Foto – ein silberhaariger Mann mit diesem Lächeln, an das ich mich nur allzu gut erinnerte. Der dazugehörige Artikel war anderthalb Jahre alt:
Polizei, Feuerwehr und Ambulanz wurden am späten Samstagabend zu einem Hausbrand in Rutherglen gerufen. Am Ort des Geschehens in der Mount Street 14 entdeckten Feuerwehrmänner die Leiche des 66-jährigen Paul Cardew. Als Ursache des Feuers wird eine Zigarette vermutet.
Sergeant Malcolm Thompson von der freiwilligen Feuerwehr in Strathclyde sagt: »Dieser Unfall zeigt auf tragische Weise die Gefahren des Rauchens im Bett auf. Weiterhin sagt
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