Das Gebot der Rache
Acht fette Messingpatronen schmiegten sich darin aneinander. Ich schob das Magazin in den Griff der Pistole und spürte mit wohligem Schaudern das leise Klacken, als die perfekt gearbeiteten Teile ineinanderrasteten. Ich hätte nicht wirklich sagen können, warum genau ich das tat. Die geladene Waffe, die nun ein wenig schwerer war, legte ich zurück in Schublade und schloss diese wieder ab.
Gerade als ich die fertige Filmbesprechung abschicken wollte, klingelte es an der Tür. Statt auf »Senden« klickte ich auf »Speichern« und eilte zur nächstgelegenen Gegensprechanlage. Das blau-graue Bild von Irene auf dem kleinen Bildschirm war unscharf. Sie blickte sich unsicher um – die typische Reaktion eines Menschen, der weiß, dass er von einer Kamera beobachtet wird. »Hallo, Irene. Kommen Sie rein«, sagte ich ins Mikrofon, während ich den Türöffner drückte. Ich rieb mir die Augen, atmete tief durch und ging in Richtung Küche.
Irene trocknete sich die Tränen mit einem Taschentuch. »Der arme Herby. Das arme, arme Tier«, sagte sie zum wiederholten Mal in ihrem süßlich-klebrigen Georgia-Akzent, den Sammy für aufgesetzt hielt. »Ein Wolf?«
»Sieht so aus. Oder er wurde auf der Tamora Road angefahren und hat versucht, sich nach Hause zu schleppen.«
»Oje.« Wir saßen in der Küche, im Hintergrund lief lautlos der kleine Fernseher. »Würde mich nicht wundern, wenn es so war, Donnie. Manchmal kann ich nachts diese großen Lastwagen hören, die rasen wie die Verrückten. Wenn er sich frühmorgens da unten rumgetrieben hat, als es noch dunkel war … vielleicht war die Straße auch noch vereist.«
»Möglich. Da ist nur … wie er aussah. Sein Körper war regelrecht aufgerissen, Irene. Es war grauenhaft.«
»O Gott. Er war so ein süßer Hund.«
»Weiß der Himmel, wie Walt es aufnehmen wird.«
»Das arme Kerlchen. Was werden Sie ihm sagen?«
»Ich schätze, wir halten uns an die Theorie, dass er überfahren wurde. Es ist besser für Walt, wenn er glaubt, dass Herby nicht gelitten hat.«
»Da haben Sie recht. Oje. Um dieses Gespräch beneide ich Sie nicht, das kann ich Ihnen sagen.«
»Ich weiß«, sagte ich und wollte gerade aufstehen, weil der Wasserkessel pfiff.
»Lassen Sie schon, Donnie. Ich mach das«, kam mir Irene zuvor. »Ihr Tag war hart genug.« Sie ging rüber zum Gasherd und nahm den dampfenden Kessel von der Flamme, dann weiter zum Kühlschrank, um die Milch herauszuholen. Sie schloss die Tür mit der Hüfte und öffnete dabei die Schublade mit den Löffeln. Irene kannte sich bestens in unserer Küche aus – vielleicht sogar besser als Sammy.
»Noch gestern haben Walt und ich bei uns im Garten mit ihm gespielt.«
»Ich weiß. Es ist einfach … schrecklich.«
»Wirklich schrecklich.« Sie goss kochendes Wasser in die Kaffeetassen.
Irene hatte kupferrotes, toupiertes Haar. Sie war Anfang sechzig, vielleicht ein wenig jünger, in ihrer Jugend vermutlich eine waschechte Südstaatenschönheit, aber alles andere als zimperlich – eine große, kräftige Frau. Manchmal sah man sie vor dem Haus beim Holzhacken. Im Frühjahr und im Sommer joggte sie fast jeden Tag ihre vier Meilen. Sie hatte das Farmhaus nebenan seit etwas über einem Jahr gemietet, war verwitwet und als leidenschaftliche Malerin der Landschaft wegen hierhergezogen. Sie entsprach so gar nicht dem Bild von der alten Nachbarswitwe, der man ständig zu Hilfe eilen musste. Ganz im Gegenteil. Irene legte enormen Wert auf ihre Unabhängigkeit und war uns eine wesentlich größere Stütze als wir ihr. Abgesehen davon, dass sie regelmäßig auf Walt aufpasste (ohne jemals etwas dafür haben zu wollen), gab sie uns häufig von ihrem Kaminholz, wenn sie mal wieder zu viel geschlagen hatte, und fragte uns immer, wenn sie in die Stadt fuhr, ob wir irgendetwas bräuchten. Wenn sie gebacken hatte, brachte sie uns sogar hin und wieder einen Kuchen vorbei – eine Geste, von der ich bis dahin glaubte, dass es sie nur noch in Filmen gibt. Wie ich war auch sie eine Zugezogene, und die Härte des letzten Winters, ihr erster Kontakt mit der erbarmungslosen kanadischen Kälte, war eine völlig neue Erfahrung für sie gewesen.
Der Kaffeedampf wehte durch die sonnendurchflutete Küche, als sie die Tassen herübertrug. »Als ich noch ein kleines Mädchen war, ist mir auch mein Hund überfahren worden.« Sie setzte sich mir gegenüber. »Es war fürchterlich. Ich schwöre, ich habe tagelang geweint.«
»Ja, das wird verdammt hart für
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