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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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übergegangen, sich Mitte Dezember nach Hawaii abzusetzen, wo sie auf Maui in einer Suite des Ritz-Carlton mit Blick auf Ananasfelder und das Meer residierten – angeblich war das milde Klima der Grund, da Sammys Mutter unter Arthritis litt. Doch ich vermutete, dass die beiden einfach nur ihren Reichtum auskosten wollten. In der Regel blieben sie dort bis Ende März und entgingen so den schlimmsten Monaten des kanadischen Winters. Wir flogen üblicherweise ein paar Tage vor Weihnachten zu ihnen rüber, spannten dort vierzehn Tage aus und waren kurz nach Neujahr wieder zu Hause. Der alte Sam hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, vor ihrer Abreise eine große Weihnachtsparty zu veranstalten, ein Termin, der inzwischen in Stein gemeißelt war. Es war eine gute Gelegenheit, wichtigen Anzeigenkunden, dem Bürgermeister und Konsorten Honig um den Bart zu schmieren. Sammy war hier ganz in ihrem Element.
    Ich spießte mir gerade eine Garnele auf die Gabel, als ich hinter mir eine tiefe Stimme sagen hörte: »Hältst du dich wieder an das harte Zeug?«
    »Hallo, Mike«, sagte ich und drehte mich um. Mike Rawls, der einsneunzig große und neunzig Kilo schwere Sicherheitschef von Sammys Vater, grinste und deutete auf mein randvolles Glas Sprudelwasser.
    »Ich muss noch fahren.«
    »Das macht uns beide zu den einzigen nüchternen Menschen hier.«
    Von unserem Platz am Buffet betrachteten wir das Gewimmel. Mike mit den geübten Augen eines Mannes, der es gewohnt ist, Menschenmengen auf Anzeichen drohenden Ärgers abzusuchen. Nach jemandem, der einem zu nahe kommt, sich zu schnell bewegt oder zu intensiv starrt. »He«, sagte er, »das mit eurem Hund tut mir wirklich leid.«
    »O ja.«
    »Was ist eigentlich genau passiert?«
    Ich erzählte ihm die ganze Geschichte, die ich inzwischen routiniert runterspulen konnte. »Es war schrecklich. Hat das arme Tier regelrecht zerfetzt. Die Polizei hat sogar eine Niere im Schnee gefunden. Sie werden …«
    »Das ist seltsam, oder?«
    »Was ist seltsam?«
    »Man würde doch denken, dass sie so etwas zuerst fressen, nicht wahr? Ein hungriges Rudel Wölfe? Die Nieren, die Leber? Wie auch immer …« Auf das Signal eines anderen Sicherheitsmannes hin, der auf der gegenüberliegenden Seite der Eingangshalle an der Tür stand, hob Mike die Hand. »Ich muss los. Sieht so aus, als wäre der Gouverneur eingetroffen. Wir sehen uns später, Donnie.«
    Ich blickte ihm nach und hatte plötzlich das Bedürfnis, mit Walt zu sprechen. Noch auf dem Weg durch den Salon, in dem das Streichquartett eben erneut mit den Vier Jahreszeiten begann, wählte ich die Nummer. Beim dritten Klingeln ging Irene dran, gerade als ich auf die rückwärtige Veranda hinaustrat.
    »Hallo, Donnie. Wie ist die Party?«
    »Alles bestens. Wir werden bald aufbrechen. Wie geht es Walt?« Ich zitterte, als der kalte Dezemberwind durch meinen Smoking fuhr.
    »Es geht ihm gut. Er hat mir gezeigt, wie dieses Videospielgerät funktioniert. Und jetzt gleich wird es Zeit für ihn, ins Bett zu gehen. Nicht wahr, Walt?« Im Hintergrund hörte ich so etwas wie Protest. »Unseretwegen müsst ihr euch nicht beeilen.«
    »Nein, nein, ich bin hier ohnehin fertig. Ich hab lang genug mein Gesicht gezeigt. Kann ich mit ihm sprechen?« Gedämpftes Rascheln, dann Walts Stimme in der Leitung: »He, Dad.«
    »He, mein Sohn. Wie läuft’s denn so?«
    »Ganz gut. Ich habe Irene bei Medal of Honor geschlagen. Sie ist ziemlich gut. Besser als du!«
    »Ach, wirklich? Na gut, Großer. Es ist halb zehn. Zeit, ins Bett zu gehen.«
    »Wann kommt ihr nach Hause?«
    »Ungefähr in einer Stunde. Aber dann schläfst du schon tief und fest, stimmt’s?«
    »Ja, Dad«, lautete seine pflichtschuldige Antwort.
    »Prima. Dann gute Nacht, Walt.«
    Ich legte auf und blickte hinaus über die Baumwipfel. Die Luft war jetzt so kalt, dass man beim Einatmen ein stechendes Brennen auf der Nasenschleimhaut und ein winterliches Knistern in den Lungen verspürte. Der schwarze Himmel über mir schien bleischwer zu sein. Wie aufgebläht von der Last des bevorstehenden Schnees.
    Man würde doch denken, dass sie so etwas zuerst fressen, nicht wahr?
    Ich hörte, wie hinter mir die Tür geöffnet wurde, und als ich mich umdrehte, sah ich den alten Herrn höchstpersönlich herauskommen. Er hatte einen dicken Mantel um die Schultern und eine große Zigarre zwischen den Zähnen. Mit jedem Zug, den er nahm, plusterten sich seine Wangen auf, ein dichter Kranz parfümierten Rauchs umwölkte

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