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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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nichts mehr als einfach nur flüchten. ) Dass die Zeit, wenn man die Seiten umblätterte, eben nicht stillstand, sondern man irgendwann auf die Uhr sah ( diese Uhr in ihrem Gitterkäfig ) und feststellte, dass der endlose, bleierne Nachmittag, der eben noch vor einem gelegen hatte, plötzlich vergangen war.
    Ich dachte an Robert Louis Stevensons Gedicht Des Schotten Heimkehr aus der Fremde , in welchem Stevenson schreibt: »Der König der Getränke, so seh ich es / Talisker, Islay oder Glenlivet.«
    Was hattest du eben zu Sammy gesagt? »Statt mich zu behandeln wie einen … einen beschissenen … ach, was weiß ich.« Aber du wusstest es ganz genau: »einen beschissenen Lakaien«. Das waren die Worte, die dir auf den Lippen gelegen hatten. Aber sie auszusprechen hätte bedeutet, an der Vergangenheit zu kratzen, und keiner von euch beiden wollte das. Nein – du ganz gewiss nicht. Dieser Schotte würde sicher nicht heimkehren. Niemals mehr.
    * * *
    Meine Mutter hatte ich Ende November 1982 zum letzten Mal gesehen, als der Medienrummel um den Prozess gerade an seinem Höhepunkt angelangt war. Draußen schüttete es, und sie musste eine beschwerliche Anreise mit Zug und Bus auf sich nehmen, um mich zu besuchen. Ihr Gesicht war nass, und ihr Mantel dampfte in der Anstaltshitze des Besucherraums. Wir saßen im gnadenlosen Licht der Neonröhren und teilten uns den Schokoriegel, den sie mitgebracht hatte.
    »Ihm geht es in der letzten Zeit nicht gut«, sagte sie, um die Abwesenheit meines Vaters zu rechtfertigen. »Und er hat Ärger gehabt.« Ihre Lippen bebten.
    »Was für Ärger?«
    »Ein Mann … neulich hat ihn ein Mann mitten auf der Straße geschlagen.« Sie warf mir einen Blick zu. Noch bevor ich nach dem Grund fragen konnte, sagte sie: »Weil du sein Sohn bist.« Sie begann leise zu weinen. Den Kopf beim Sprechen gesenkt, schluchzte sie die Worte wie bei einem Schluckauf hervor. »Diese Sachen, die sie in der Zeitung schreiben, die Sachen, die du und deine Freunde diesem Jungen angetan habt. Sind sie … habt ihr das wirklich getan?«
    Wie betäubt starrte ich zu Boden, ohne zu antworten.
    »Oh, William. Oh, dann gnade dir Gott. Gnade dir Gott …«
    Immer wieder sagte sie das. Immer wieder und wieder. Wenige Wochen später, kurz vor Weihnachten, erhielt ich ein Päckchen mit einigen Geschenken (einem Pullover, einem Kartenspiel, einem Airfix-Modellbausatz) und einen Brief. Er war kurz und in diesem für meine Mutter typischen Mix aus Groß- und Kleinbuchstaben geschrieben:
    Lieber William,
    frohe WeihNachten. Hier Einpaar kLeine GeSchenke für diCh. Es ist nich viEl. Wir sInd ein wenig Knapp miT dem GelD.
    Es Macht mich sehr traUrig dieSen Brief zu Schreiben. Dein Vater und Ich haben beschlossen dich nicHt meer zu sEhen. Was du Getan haSt ist unverZeihlich. Ich HofFe das Gott dir eines Tages verGibt ABER wir können es NichT. Ich will Versuchen dicH als den lieBen JungeN in ErinnRung zu behalten Der du warSt und nicht So, wie die ZeiTungen über dich SchreiBen. Ich werde Immer an dicH denken. Aber du Bist nicht mEHr unser Sohn.
    Es tut Mir Leid.
    Kuss, Mum
    Ich hörte nie wieder von ihnen. Ich war dreizehn.
    * * *
    Ich leerte das Glas, legte die Flasche zurück in die Schublade und schloss sie wieder ab. Als ich aufstand, sah ich, dass bei Irene noch Licht brannte. Etwa eine halbe Meile entfernt leuchtete ein gelbes Quadrat in der Dunkelheit. Für einen Sekundenbruchteil löste sich ein Schatten aus dem Dunkel. Doch kaum hatte ich ihn bemerkt, erlosch das Licht, und der Horizont wurde schwarz.
    Ich ging zu Bett.

11
    Mehrere Hundert Gäste bewegten sich durch das riesige, hell erleuchtete Anwesen an der Elm Street – die Männer in Anzug oder Smoking, die Frauen in festlichen Roben. Kellner in weißen Jacketts schoben sich durch das Gedränge, füllten aus beschlagenen Champagnerflaschen Gläser auf. Sogar die Flaschen sahen mit ihren weißen Tuchmanschetten aus, als trügen sie Abendgarderobe. In der Halle standen Eisskulpturen, im Salon musizierte ein Streichquartett. Ich hielt mich wie immer am Buffet auf, knabberte Crudités und trank Club Soda. Zu Hause in Schottland nannten wir das Zeug einfach nur Sprudelwasser. Noch einige Jahre, nachdem ich nach Kanada gezogen war, hielt ich Club Soda für einen speziellen nichtalkoholischen Drink, dessen Zubereitung mit der »Bar« oder eben dem »Club« variierte, in dem man ihn orderte. Quasi Soda nach Art des Hauses.
    In den letzten Jahren waren Sammys Eltern dazu

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