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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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was ich tat, ergriff ich ihre kalte Hand und musste daran denken, wie ich diese Hand zuletzt in einem Krankenhaus gehalten hatte, irgendwo über uns, in genau diesem Gebäude. Deine ganze Aufmerksamkeit war auf Sammy gerichtet. Immer wieder sagtest du: »Pressen, Baby, pressen. Komm schon, du machst das gut.« Du sahst erst hin, als du das Schreien hörtest. Die Hebamme stupste dich an und hielt dir ein blutiges Handtuch entgegen, aus dem ein schwarzes Haarbüschel herausschaute. Eigentlich wollten wir mehr Kinder haben, aber dann klagte Sam über Bauchschmerzen. Nach der Operation wischte sie sich eine einzelne Träne von der Wange, lächelte und sagte: »Walt ist perfekt. Er ist mehr als genug.« – »Ja«, stimmtest du ihr zu. »Walt ist mehr als genug.«
    Gedankenverloren wanderte mein Blick über ihr Handgelenk bis hinauf zu dem kaffeebraunen Muttermal. Dann klappte ich unter einem schmerzhaften, trockenen Würgen zusammen. Weil ich einfach nicht anders konnte, hatte ich in die Dunkelheit des Leichensacks gespäht. Da war etwas Glattes, etwas Weißes gewesen, im oberen Bereich des Arms. Ich wusste, es war ein Knochen. Ich wusste, dass man ihr das Fleisch vom Oberarm abgetrennt hatte.
    Ich sank auf die Knie. Danko stützte mich, als ich von Krämpfen geschüttelt wurde, während Dr. Manuel rasch einen Eimer holte, bevor alles hochkam. Mein gequältes Stöhnen hallte durch den kalten, gekachelten Raum.

21
    Zurück im Vorzimmer trank ich wie in Zeitlupe aus dem Pappbecher mit Wasser, der mir in die zitternden Hände gedrückt wurde. Als ich ihn nach einer gefühlten Ewigkeit geleert hatte, sagte ich leise: »Ich muss Sammys Eltern anrufen. Sie sind auf Hawaii.«
    »Wir könnten das für Sie übernehmen, wenn Ihnen das lieber ist«, schlug Danko vor. Ich hob den Blick, sah, dass wir nur noch zu zweit waren, und schüttelte den Kopf. Der alte Sam. Die Medien. Das würde Schlagzeilen machen. Walt.
    »Mr. Miller, können Sie mir sagen, ob Ihre Frau und Sie irgendwelche Feinde haben?«
    »Feinde? Ich … nun ja, Sammy ist … war Zeitungsherausgeberin. Da macht man sich nicht nur Freunde, aber …«
    »Ich frage Sie das, weil die Art der Verletzungen, ihre Schwere, nun, das scheint mir fast … persönlich zu sein.«
    Er gab mir einen Moment Zeit, diese Aussage zu verdauen. Ich sah ihn an und sagte: »Officer, seien Sie bitte ehrlich. Wenn es da noch etwas gibt, was ich wissen sollte, dann sagen Sie es mir.«
    »Das wird jetzt nicht einfach für Sie.« Er räusperte sich. »Wir fanden Nadelstiche und Blutergüsse in der rechten Ellenbeuge, die von einer Infusionsvorrichtung stammen könnten. Außerdem gibt es Ligaturmale an beiden Beinen und dem rechten Arm, die darauf schließen lassen, dass jemand versucht hat, die Blutung zu stillen.«
    Ich starrte ihn bloß an.
    »Das Blutbild bestätigt, dass Ihrer Frau in den Stunden vor ihrem Tod hohe Dosen Kochsalz und Thiopental – ein Anästhetikum – verabreicht wurden.«
    »Ich verstehe nicht …«
    Doch ich wusste genau, worauf er hinauswollte. Trotzdem sah ich ihn einfach nur weiter an und ließ es ihn aussprechen.
    »Es hat den Anschein, als habe sie jemand künstlich am Leben erhalten, um sie über einen längeren Zeitraum foltern zu können.«
    Zu dem permanenten Grauen gesellte sich jetzt endgültig die schiere, nackte Angst.
    Ich würde nach Hause fahren, die geladene Pistole aus meiner Schreibtischschublade holen, sie vorn in den Hosenbund stecken, mir Walt schnappen und zusehen, dass ich hier wegkam. Ich würde Mike Rawls anrufen und ihn bitten, Walt und mich zu holen und nicht mehr von unserer Seite zu weichen, bis derjenige, der Sammy das angetan hatte, hinter Schloss und Riegel saß. Der Gedanke daran, meinen Sohn zu beschützen, versetzte mir einen heilsamen Stoß.
    »Ich muss Sammys Eltern anrufen«, sagte ich und stand auf. »Dann möchte ich bitte nach Hause. Sofort.«

22
    »Verstanden, Zentrale«, sagte der Pilot, als Regina unter uns zusammenschrumpfte. Mein Magen wurde bis hinauf in meine wunde Kehle gedrückt, während die gleißend hellen Kreuzungen und Straßenlaternen der Innenstadt erst den spärlicher beleuchteten Blocks der Vorstädte wichen und schließlich nur noch die flache, weiße Ödnis Saskatchewans unter uns entlangzog, in der hin und wieder das matte Leuchten vereinzelter Farmhäuser aufglimmte. Urplötzlich, mit einem kräftigen Schlag und dem Gefühl, man würde quer durch den Himmel geprügelt, zog es den Hubschrauber nach rechts.

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