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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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Handtücher ab, tränkte ihn mit Benzin und stopfte ihn in den Hals der Flasche. Die ganze Zeit über lag Walt in der Ecke neben dem leise summenden Heizofen und beobachtete mich schweigend. Ich nahm die Zündholzschachtel, zog eine Kiste vor das kleine Fenster, steckte den Vorschlaghammer in meinen Gürtel und setzte mich. Für den Fall, dass etwas schiefging und es zum Schlimmsten kam, hoffte ich, dass der erste Schlag Walt betäuben und bereits der zweite oder dritte tödlich sein würde.
    »Die Vergangenheit ist ein fremdes Land«, lautet ein steinaltes Klischee. Eine Zeit lang dachte ich, meine wäre sogar ein anderer Planet. Ich war ein kleiner Junge, der etwas Schreckliches getan hat. Aber die Vergangenheit ist kein fremdes Land. Sie ist allgegenwärtig. Sie war jetzt gerade da draußen, irgendwo im Schnee, mit einem Schlachtermesser und einem Revolver.
    Ich wartete.
    Es hörte auf zu schneien.

35
    Vielleicht dreißig Minuten, nachdem der Schneesturm abgeflaut war, sah ich sie. Ein gelblich-weißer Lichtstrahl durchschnitt die Finsternis. Ich rückte näher an das Fenster heran und beobachtete, wie sie über unsere hintere Veranda ging. In ihrer roten Daunenjacke war sie gerade noch zu erkennen. Der Kegel ihrer Taschenlampe glitt über den Garten, holte die Umrisse der unter Schneewehen begrabenen Gartenmöbel aus der Dunkelheit, suchte die Nebengebäude ab: die Ställe, die Pergola, das Poolhaus. Ich ging in Deckung, als der Lichtstrahl sich die Außenmauer entlangtastete. Walt wimmerte vor Angst, als der Strahl durchs Fenster fiel und zitternd auf der Wand über unseren Köpfen verharrte. Dann bewegte er sich weiter, und ich riskierte einen Blick nach draußen. Sie ging in Richtung der Stallungen, dem Gebäude, das dem Haus am nächsten lag.
    »Komm mit, Walt«, flüsterte ich.
    Ich hob ihn hoch, trug ihn in den Umkleideraum und legte ihn auf den Boden neben der Tür, die ich zuvor abgeschlossen hatte, außer Sichtweite der Fenster. »Bleib einfach hier und sei ganz, ganz still. Schaffst du das?«
    Er klammerte sich an meinen Kragen. »Nein! Geh nicht. Ich hab Angst.«
    »Hör zu, Walt. Ich gehe nur nach nebenan, ich … bitte, mein Großer. Du kriegst das hin.«
    Der Strahl der Taschenlampe bewegte sich bereits von den Ställen weg und wieder auf uns zu.
    Walt unterdrückte ein Schluchzen. Ich sah ihn an und streichelte ihm über die Wange. »Ich komme zurück und hole dich. Was immer auch geschieht … rühr dich nicht vom Fleck. Ich liebe dich.« Ich küsste ihn auf die Stirn. Mit einem Wimmern ließ er mich gehen.
    Ich kroch über den Boden der Werkstatt, unter dem Lichtstrahl hinweg, der durchs Fenster fiel und über die Wände irrlichterte. Ich kauerte mich zwischen die Maschinen, hinter das mit einer Plane bedeckte Schneemobil, vielleicht sechs Meter von der Tür entfernt, und machte mich bereit – die Weinflasche in der einen, das lange Streichholz in der anderen Hand. Ich hörte ein Klopfen am Fenster. Das Gesicht gegen die Scheibe gepresst, suchte sie den Raum mit der Taschenlampe ab. Ich drückte mich flacher auf den Betonboden. Der Lichtstrahl verschwand. Ein oder zwei Sekunden verstrichen, dann hörte ich den Türknauf quietschen. Für einen kurzen Moment war ich starr vor Angst – unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, unfähig, mich zu bewegen –, während sie an der Tür rüttelte. Na los, du kannst das. Ich setzte die Flasche ab. Die Tür öffnete sich exakt in dem Augenblick, als ich das Streichholz anriss.
    Ein leiser Widerstand. Holz splitterte auf Sandpapier, als der Zündkopf zerbröselte.
    Mir drehte sich der Magen um.
    Du hast die verdammten Streichhölzer nicht ausprobiert.
    Der Lichtstrahl tastete sich jetzt durch den Raum, während ich in der Schachtel kramte und dabei den halben Inhalt auf dem Boden verstreute. Ich riss ein neues Streichholz an – wieder eine Niete.
    Und jetzt wirst du sterben.
    Mit zitternden Fingern griff ich nach einem dritten Streichholz, hob den Blick und sah, wie sie den Kopf durch die Tür steckte, die Taschenlampe in der einen, den Revolver in der anderen Hand. Ich riss das Zündholz an und hielt es sofort an den benzingetränkten Lappen. Er fing Feuer. Eine helle, pinkfarbene Flamme schoss in die Luft und verbrannte meine Hand. Als sie sich mit ausgestreckter Waffe zu meinem Versteck umdrehte, sprang ich auf, den Arm bereits hinter die Schulter gezogen, wie ein Pitcher beim Werfen. Sie betätigte den Abzug im selben Moment, in dem ich laut schrie

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