Das Gebot der Rache
zu dem grünen Licht gesellte und heiße Luft über Walt hinwegstrich.
»Walt. Walt! Kannst du mich hören?«
»Mmm.«
»Wir sind im Poolhaus. Ich habe den Heizlüfter angemacht. Ich hole ein paar Handtücher.«
In der eiskalten Dunkelheit tastete ich mich durch die Verbindungstür zur Umkleidekabine und fand ein paar trockene Handtücher auf den Holzbänken. Auf dem Boden lagen, wie ich gehofft hatte, einige T-Shirts und eine von Walts alten Cargohosen. Die Sachen waren muffig und dreckig, aber trocken. Ich schloss die Außentür ab, die vom Pool in die Umkleidekabine führte. Dann lugte ich durch ein schmutziges, vereistes Fenster zum Haupthaus hinüber. Auf der Rückseite des Hauses – in dem Flur, an dem die Schlafzimmer lagen – brannte noch immer Licht. Abgesehen davon, Walt zu wärmen und abzutrocknen, hatte ich nur einen Gedanken: Ich musste in mein Büro, um die Pistole zu holen. Dann sah ich, wie etwas Rotes über den Flur huschte, und duckte mich unters Fenster.
Sie war in unserem Haus und wartete auf uns.
Vielleicht wartete sie auch darauf, dass der Sturm etwas abflaute. Oder auf das erste Tageslicht, sodass sie die Gegend mit dem Schneemobil absuchen konnte, um sicherzugehen, dass wir wirklich tot waren. Gebückt lief ich zurück zu Walt. Er zitterte wieder, was ein gutes Zeichen war. Ich sah mir seine Hand an, wobei ich ein Schluchzen unterdrücken musste. Der Verband war vereist und regelrecht an seiner Haut festgefroren, aber zumindest war so die Blutung gestoppt. Ich zog ihm die nassen Sachen aus und die trockenen an. Ich nahm Dannys uralte, verdreckte Wachsjacke vom Haken an der Wand, wickelte Walt darin ein und zog mir selbst die nasse North-Face-Jacke über. Meine Haut sträubte sich gegen den schmierigen, feuchten Stoff, in dem immer noch der Duft ihres süßlichen Parfüms hing.
»Ist das so besser?«, flüsterte ich.
»K… kalt.« Walt schlug die Augen auf und sah mich müde an.
»Bleib bitte so nah wie möglich an dem Öfchen. In Ordnung, Walt? Alles wird gut.«
»Was ist passiert? Ich …« Er schien sich an etwas zu erinnern und hob seine Hand. Tränen schossen ihm in die Augen. »Mein Finger …«
Ich musste mich enorm zusammenreißen, um nicht selbst loszuheulen. »Hör zu, Walt. Wir holen einen Arzt, und der bringt das wieder in Ordnung, alles klar? Die kriegen heutzutage alles hin. Aber jetzt müssen wir still sein.«
Er versteifte sich in meinen Armen. »Wo ist sie?«
»Sie … sie ist in unserem Haus. Aber keine Angst. Die Polizei wird bald hier sein. Bleib einfach hier. Verhalt dich ruhig.«
»Geh nicht weg!«, flehte er mich an, als ich aufstehen wollte.
»Mach ich nicht, Walt. Ich muss nur etwas suchen, okay? Ich bin gleich da drüben.«
Er nickte, und ich kroch auf Knien zum Fenster.
Ich beobachtete das Haus, aber es war nichts von ihr zu sehen. Ich blickte auf meine Uhr – fast zwei Uhr nachts. Vermutlich würde es dämmern, bevor die Zentrale in Regina Funkkontakt mit dem Hubschrauber aufzunehmen versuchte. Es blieben also mindestens fünf bis sechs Stunden. Konnten wir uns einfach in einer Ecke verkriechen und auf Rettung warten? Irgendwann wird sie die Nebengebäude absuchen. Mein nächster Gedanke ergab sich automatisch aus dem vorherigen. Früher oder später wird sie durch diese Tür kommen, und du überlegst dir am besten ganz schnell, was du dann tun wirst.
Ich sah mich in der Werkstatt um: ein paar Gartenwerkzeuge, eine Harke, ein Spaten. Eine Kiste mit leeren Weinflaschen von einer Party im letzten Sommer. Nichts, womit man sich einer Pistole entgegenstellen wollte. Der Rasenmäher, das Schneemobil, ein Werkzeugregal. Meißel, Zangen, Schraubenschlüssel, ein Vorschlaghammer, den ich zuletzt benutzt hatte, um den Pfahl des Schwingball-Sets in den Rasen zu rammen. Eine Schachtel Streichhölzer neben dem Grill.
Die Streichhölzer brachten mich auf eine Idee.
Streichhölzer, Flaschen, Rasenmäher.
Ich bückte mich, schraubte den Deckel ab und roch am Tank des Rasenmähers. Mit einem scharfen Schlitzmeißel schnitt ich ein Stück Gartenschlauch von der großen, grünen Trommel. Ich schob es in den Tank, steckte das Ende in den Mund und saugte. Sofort hatte ich Benzin im Mund. Hustend und würgend musste ich an eine Sommernacht vor fast dreißig Jahren denken, in der ich so etwas zum letzten Mal gemacht hatte. Ich spuckte aus, steckte das Schlauchende in eine leere Weinflasche und ließ sie volllaufen. Dann riss ich einen Streifen von einem der
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