Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das gebrochene Versprechen

Das gebrochene Versprechen

Titel: Das gebrochene Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
Organismus, der langsam stranguliert wurde. Ich wollte, ich wäre oft
genug hier gewesen, um die Schleichwege zu kennen, aber...
    Als sich in der Nähe der
Overland Avenue endgültig gar nichts mehr rührte, fischte ich Rickys Handy aus
meiner Umhängetasche und wählte die Nummer in Nashville, die mir die Frau in
Venice gegeben hatte. Es klingelte zweimal, dann forderte mich eine männliche
Tonbandstimme auf, eine Nachricht für Tod zu hinterlassen. Ich tat es und
betonte, dass es dringend sei.
    Elf Uhr fünf. Ich musste um
Mitternacht in Union Station sein.
    Ich legte den ersten Gang ein
und kroch zentimeterweise vorwärts, während ich Hys Handynummer wählte. Keine
Antwort. Warum nicht, Himmelherrgott? Als ich ihm erklärt hatte, ich würde es
nicht rechtzeitig zum Konzert schaffen, hatte er gesagt, ich solle ihn anrufen,
falls es irgendein Problem gebe.
    Elf Uhr sechs. Jetzt mussten
Rae und Ricky schon auf dem Weg zur Limousine sein. Dort waren sie eine Zeit
lang sicher, aber dann würden sie sich der Menge am Bahnhof stellen müssen. Hy
und Rats schienen zu glauben, wenn sie ihn erst mal durch die Bahnsteigsperre
hatten, könnte nicht mehr viel passieren, aber ich war mir da nicht so sicher —
nach dem, was ich eben erfahren hatte. Gott, ich durfte mir nicht ausmalen, was
als Nächstes passieren konnte. Mir nicht vorstellen, was diese Terriss
möglicherweise im Schilde führte.
    Elf Uhr sieben. Ich musste
jemanden erreichen.
    Mick. Er hatte ein Handy — das,
das ich ihm im Frühjahr als Belohnung für gute Arbeit gekauft hatte. Ich
durchforstete mein Gedächtnis nach der Nummer und wählte. Wieder keine Antwort.
Hatte er es in seinem Hotelzimmer gelassen oder...?
    War beim Konzert etwas schief
gegangen? War Ricky etwas passiert? Rae? Mick? Oder Hy?
    Menschen, die ich liebte, waren
womöglich in ernsthaften Schwierigkeiten, und ich steckte hier im Stau.
Menschen, die ich liebte, schwebten womöglich in Lebensgefahr, und ich starrte
auf das Hinterteil eines Sattelschleppers.
    Menschen, die ich liebte:
Ricky, Rae, Mick... Hy.
     
     
     
     

21
     
    Aus Rae Kellehers Tagebuch:
     
    Ricky
und ich fielen in die Fondpolster der Limousine, und die Tür schlug mit einem
satten Geräusch zu. Wir waren beim Spießrutenlaufen durch die kreischenden
Fans, die Reporter und Kameras vor dem Amphitheatre auf beiden Seiten von
RKI-Leuten abgeschirmt worden, und trotzdem hatte es jemand geschafft, Rickys
T-Shirt-Ärmel zu zerfetzen.
    Er
riss sich das T-Shirt vom Leib und warf es auf den Wagenboden. Lachend — so
high, wie ich ihn seit dem Konzert in Sonoma County nicht mehr gesehen hatte.
»Red«, sagte er, »so benehmen sich die Leute bei Rockstars, aber noch nicht bei
Country-Burschen wie mir.« Ich lächelte, und etwas von seiner Erregung sprang
auf mich über, trotz der nachwirkenden Angst jener halben Minute zwischen
Bühnenausgang und Wagen. Ich hatte immer schon einen Hauch von Agoraphobie
gehabt, und mir wurde jetzt klar, dass ich das überwinden musste, wenn ich mit
ihm zusammenbleiben wollte. Was ich wollte.
    »Hey«,
sagte ich, »willst du halb nackt in den Zug steigen?«
    »Nein,
mich nackt zu sehen ist ein Erlebnis, das allein dir vorbehalten ist. Zum Glück
hat mein Garderobier damit gerechnet, dass ich nach dem Auftritt ein bisschen
ramponiert sein würde, deshalb haben wir hier« — er zog eine Plastiktüte vom
Sitz gegenüber — »ein Ersatzhemd.«
    Ich
half ihm, es überzustreifen, und lehnte mich zurück, um mein »Baby« zu
betrachten: IN LOS ANGELES BOYKOTTIERT: THE MIDNIGHT TRAIN TO NOWHERE.
    Nicht
schlecht, Eigenlob hin oder her, und die graphische Gestaltung, die Winterland
beigesteuert hatte, war phantastisch.
    Ricky
grinste mich an und zog mich dann an sich. »Ich möchte ja gern glauben, dass du
entzückt bist, was für einen gut aussehenden Burschen du dir da geangelt hast,
aber ich habe den Verdacht, es geht mehr um das Hemd.«
    »Na
ja, ich bin schon stolz drauf.«
    »Das
kannst du auch sein.« Er zog eine Flasche Champagner aus der Bordbar und ließ
den Korken ploppen. Dann goss er zwei Gläser voll, reichte mir eins und
prostete mir zu. »Auf uns.«
    »Auf
uns.« Ich trank von dem perlenden Zeug und dachte: Ich werde nie lernen, den
Unterschied zwischen dem hier und dem Billigsekt, den ich gewohnt bin, zu
schmecken, aber das macht nichts, weil es uns beiden nicht wichtig ist.
    »Und
auf dich«, sagte ich. »Sie waren begeistert von dir.«
    »Gott
sei Dank.« Er schüttelte den Kopf. »Nach

Weitere Kostenlose Bücher