Das gebrochene Versprechen
Schnitte
gesehen.«
»Hatte sie so was schon mal
gemacht?«
»Sie hatte mit Selbstmord
gedroht, ja, aber das war meines Wissens das erste Mal, dass es nicht bei
Worten geblieben war.«
Da hatte ich es: das Ergebnis
von Rickys Leichtfertigkeit und Hauruck-Problemlösungsstrategie.
Ich fragte Patricias Exmann:
»Wie lange ist sie bei Ihnen geblieben?«
»Nur bis zum Abend. Als sie
sah, wie mich ihre Geschichte beunruhigte, rief sie ihren Freund Tod an, und er
trampte hier rauf und fuhr sie mit ihrem Wagen zu sich nach Hause.«
»Sie haben nie nachgefragt, ob
sie wieder okay war?«
»Nein. Ehrlich gesagt, nach
dieser Sache waren auch meine letzten Gefühle für sie erloschen. Ich wollte sie
nie wieder sehen.« Er sah mich mit leerem Blick an, und sein jetzt schon fast
greifbarer Schmerz erfüllte den gepflegten Raum. Ich kannte diesen Ausdruck von
Leuten, die einen geliebten Menschen verloren hatten, und in gewisser Weise
galt das wohl auch für ihn.
Er setzte leise hinzu: »Egal,
wie übel er sie behandelt hat, ich kann es Savage nachfühlen. Wissen Sie, ich
bin selbst auch mal ihr Opfer geworden.« Er streckte mir seinen linken
Handrücken hin; darauf war eine Narbe, die aussah wie von einer tiefen
Stichwunde.
»Das war sie?«
»Ja — mit einem Brieföffner,
bei einem ihrer rasenden Wutanfälle, als ihr klar wurde, dass ich ihre Karriere
nicht finanzieren konnte. Wer immer Ihr Klient ist, sie müssen ihn schützen,
und wenn Sie Patricia finden, rate ich Ihnen, sehr vorsichtig zu sein. Sie
wollen ja sicher nicht auch noch Zielscheibe ihres Zorns werden.«
Tagsüber ist Venice der
bunteste aller kalifornischen Küstenorte, mit einem permanenten Straßentheater,
das Rollerblader, fliegende Händler und exzentrische Figuren aller Art auf dem
Ocean Front Walk veranstalten. Nach Sonnenuntergang jedoch verschwinden die
Akteure, flüchten die Touristen, verschanzen sich die normalen Leute hinter
verschlossenen Türen. Dann gehören die schmalen Straßen entlang der Kanäle den
Obdachlosen und den Gangs, die sich das Terrain auf der Grundlage eines
labilen, unausgesprochenen Nichtangriffspaktes teilen.
Es war kurz vor zehn, und die
nächtlichen Jäger und Sammler waren bereits in voller Stärke ausgeschwärmt, als
ich bei der Adresse ankam, wo, laut dem Zettel, den mir Philip Terriss gegeben
hatte, Tod Dodson wohnte. Ich schloss den Mietwagen ab und musterte das
Schattendunkel gründlich, ehe ich auf das kleine Holzhäuschen zuging, das in
einer Seitenstraße in Strandnähe, zwischen zwei neueren architektonischen
Fehlleistungen, vor sich hinrottete. Aus dem gardinenlosen Fenster fiel ein
Lichtstreifen durch den winzigen Vorgarten, und ich sah Gänseblümchen inmitten
eines Unkrautgewirrs; durch die Scheibe erspähte ich ein Stück von einem
schäbigen, braunen Sofa und ungerahmte Rockkonzertplakate an den Wänden.
Die Frau, die mir aufmachte,
hatte ein rundes, aufgedunsenes Gesicht unter einem blonden Lockenfilz und trug
ein schmuddliges weißes Kleid. Ihre bloßen Füße waren dreckig. Sie musterte
meinen Ausweis mit unverhohlener Feindseligkeit und schüttelte den Kopf, als
ich nach Dodson fragte. »Der wohnt hier nicht mehr.«
»Wissen Sie, wo ich ihn finden
kann?«
»Warum?«
»In einer persönlichen
Angelegenheit.«
»Wie? Ist jemand gestorben und
hat ihm was vererbt?«
»So was in der Art.«
Ihre Miene sagte, dass sie mir
nur halb glaubte. »Na ja, Tod ist wieder zurück nach Nashville, hat’s hier in
der Pop-Szene nicht geschafft. Mein Freund und ich, wir haben das Haus in
Untermiete.«
»Haben Sie seine Adresse oder
Telefonnummer?«
»Möglich.«
Aha. Ich fischte in meiner
Umhängetasche nach meiner Brieftasche. Die Frau verfolgte mit gierigem Blick,
wie ich einen Zwanziger herausnahm. Sie schnappte ihn mir aus den Fingern und
sagte: »Warten Sie hier.« Sie verschwand und schloss die Tür hinter sich. Ich
wartete, stellte den Kragen meines leichten Baumwollhemds hoch und verschränkte
fröstelnd die Arme. Wind fegte vom Pazifik her durch die schmalen Sträßchen und
Kanäle und ließ die Wedel der hohen Palmen rascheln. Ich sah auf meine
Armbanduhr, und mir wurde klar, dass Ricky bereits auf der Bühne stand und
spätestens in einer Stunde das Amphitheatre in Richtung Union Station verlassen
würde.
Beeil dich, dachte ich.
Die Frau kam wieder und reichte
mir einen Zettel mit einer Telefonnummer. »Adresse ist nicht«, sagte sie. »Mein
Freund und ich, wir sind nicht so fit, wenn’s ums
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