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Das gebrochene Versprechen

Das gebrochene Versprechen

Titel: Das gebrochene Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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seinen Schmerz spürten, dachte ich, und
ihm helfen wollten. Rickys Selbstbeherrschung ließ ihn im Stich; er trat einen
Schritt zurück und drehte sich um, als wollte er der Band etwas sagen. Seine
Schultern bebten, und er senkte den Kopf, rang um Fassung. Dann hatte er sich
wieder im Griff, wischte sich mit der Hand übers Gesicht, nickte den
Bandmitgliedern zu und trat wieder ans Mikro.
    »Vielen Dank. Ihr wart ein
tolles Publikum —« Jubel unterbrach ihn. »Ja! Wirklich! Ihr seid klasse!
Deshalb möchten wir euch jetzt etwas ganz Besonderes bieten. Nächsten Monat
kommt unser neues Album heraus; es heißt The Midnight Train to Nowhere, und wir bringen jetzt vorab schon mal den Titelsong, exklusiv für euch.«
    Der Applaus steigerte sich
noch. Ricky rief dagegen an: »Wir hoffen sehr, dass er euch gefällt.« Er begann
ein kompliziertes Picking, und sofort erstarb der Lärm.
     
    Dieser
Zug nach nirgendwo
    ist
so trostlos, kalt und leer,
    und
der Typ dort in der dunklen
    Fensterscheibe — wer ist der ?
     
    Dass
ich wusste, wer ich bin,
    liegt
so endlos weit zurück,
    seither
spiel ich eine Rolle, spiel in einem schlechten Stück.
     
    Als
ich wegging, hatt ich keinen
    Blick
für das, was ich verließ,
    nur
den Hunger ohne Namen
    und
ein Ziel, das Freiheit hieß.
     
    Räder
rattern durch das Dunkel,
    und
ich tu kein Auge zu,
    denn
was seither war,
    das
lässt mir einfach keine Ruh....
     
    Ich guckte zu Hy hinüber, sah,
dass er sich an einem anderen Ort, und in einer anderen Zeit befand. Wie der
Mann in dem Song — wie Ricky — hatte er vor Jahren sein Zuhause in der
Hochwüste verlassen, auf der Suche nach etwas Undefinierbarem. Und obwohl er
schließlich wieder dorthin zurückgekehrt war, hatte ihn das, was er in der
Zwischenzeit gesehen und getan hatte, zu einem Fremden gemacht, einem Menschen,
der genügend Albträume und Schuldgefühle in sich trug, um über eine lange
Einsiedlerphase, eine Ehe und den frühen Tod seiner Frau hinweg daran zu
laborieren. Erst im vergangenen Jahr war er in der Lage gewesen, sich zu öffnen
und mir seine Geheimnisse anzuvertrauen.
    Doch auch ich hatte meine
Geheimnisse. Das frischwangige Cheerleader-Girl, das ich einst gewesen war,
hatte San Diego verlassen, auf der Suche nach... was? Mehr. Das war alles, was
ich sagen konnte. Tja, mehr hatte ich auch gefunden, so viel stand fest. Und
was ich noch gefunden hatte, waren die Dämonen, die ich mitgebracht hatte.
Inzwischen gab es da innere Türen, die ich nicht mehr zu öffnen wagte, und
manchmal fragte ich mich, was für eine Frau aus mir geworden war.
    Die letzten Töne von »Midnight
Train« hingen noch in der Nachtluft. Die Menge war seltsam still. Ricky zog das
Mikro näher heran, sprach wieder auf diese seltsam intime und doch nicht intime
Art. »Dieser Song ist für alle, die nicht mehr nach Hause zurück können. Nach
Bakersfield.« Er tippte sich auf die Brust. »Nach Missoula.« Ein Nicken zu Norm
O’Dell, dem Lead-Gitarristen. »Nach Austin.« Ein weiteres Nicken, zu seinem
Bassisten, Forrest Curtin. »Nach Shreveport.« Der Schlagzeuger Jerry Jackson
quittierte das mit einem Winken. »Und nach Oklahoma City.« Er machte eine
Handbewegung in Richtung des Keyboarders Pete Sherman.
    »Und jetzt«, setzte er hinzu,
»bitte ich euch um einen Riesenapplaus für die Jungs hinter mir. Sie sind die
Größten!«
    Die Reaktion war noch
stürmischer als alles Bisherige. Währenddessen stimmte die Band »Baby, We’ve
Got It All« an.
    Das war ein ausgelassener
früher Song, geschrieben im Überschwang der ersten Erfolgswelle — für Charlene.
     
     
     
     

5
     
    Als wir wieder zum
Trailerstellplatz zurückkamen, war ich völlig ausgelaugt, nicht nur von der
Hitze, sondern auch von der emotionalen Intensität des Konzerts. Auch Hy
erklärte, dass er dringend das eine oder andere Bier gebrauchen könne. Ricky
und die Bandmitglieder standen hingegen immer noch unter Adrenalin, trotz der
fast zwei Stunden Schwerarbeit bei über dreißig Grad. Sobald sie von den
Golf-Carts gestiegen waren, holten sie die Joints und Flaschen hervor und
ließen sie herumgehen, während sie das Konzert durchdiskutierten.
    »Ich weiß nicht«, sagte Ricky,
»nach ›Midnight Train‹ waren sie verflixt still.«
    »Ach, Shit, nur weil sie’s toll
fanden!«
    »Meinst du, Pete?«
    »Ja. Klar, auf jeden Fall.«
    »Er hat Recht, Rick. ›Midnight
Train‹ wird ein Knüller.«
    »Ich weiß nicht, Jer.«
    »Hey, Savage, mach dir nicht
ins

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