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Das gebrochene Versprechen

Das gebrochene Versprechen

Titel: Das gebrochene Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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anderen sind, glaube
ich, noch nicht alt genug, um damit fertig zu werden. Ich werde ja selbst nicht
so besonders damit fertig; ich muss dauernd kotzen.«
    Armes Kind! Das Wissen um das
Geheimnis ihrer Mutter und ihre Schuldgefühle wegen der Art, wie sie’s
rausgekriegt hatte, fraßen sie auf. Kein Wunder, dass Chris mich gebeten hatte,
mit ihr zu reden. Ich fragte: »Wann soll diese Chinareise denn stattfinden?«
    »In zwei Wochen.«
    Mitten während der Midnight- Tour;
das würde Rickys Auftritten ungeheuer gut tun. Mieses Timing, Charlene.
    Aber ich konnte nicht wirklich
sauer auf meine Schwester sein. Wie Kurt Girdwood erinnerte auch ich mich, was
sie in jenen mageren Jahres alles stumm ertragen hatte, während Ricky
rücksichtslos seinen Traum verfolgte. Ich hatte ihre Einsamkeit, ihre Not und
Verzweiflung miterlebt. Und ich hatte, wie mir jetzt klar wurde, keine Ahnung
gehabt, was in ihrer Ehe wirklich ablief. Jamie sah mich an, als hoffte sie,
dass ich ein paar magische Worte sagen würde, die alles wieder gutmachten. Ich
stand auf und begann, im Zimmer herumzugehen, wobei ich hier und da stehen
blieb, um ein Foto oder einen Buchumschlag zu studieren. Da stand ein
Hi-Fi-Regal zwischen den Fenstern, und ich ließ meinen Blick über die cd sschweifen —
    Durch eine der Plastikhüllen
lächelte mich Arletta James an, ganz in Spitze und Satin, auf einem Hocker
sitzend. Über dem Titel klebte ein Haftzettel. Darauf stand: »Hör dir mal
Nummer vier an.« In derselben Handschrift wie die Botschaften, die Ricky bekommen
hatte. Rasch nahm ich die cd und
drehte sie um. Überflog die Titelliste. Nummer vier war »My Mendacious
Minstrel«.
    Übertrieben beiläufig fragte
ich: »Magst du dieses Album?«
    »Igitt!«
    Natürlich nicht; die cd, die sie vorhin gehört hatte, war
von Snoop Doggy Dogg. »Wo hast du die her?«
    »Geburtstagsgeschenk. Mom sagt,
sie lag einfach irgendwann bei einem Haufen Geschenke, die sie im Wandschrank
in einem der Gästezimmer versteckt hatte. Die Sängerin ist eine alte Freundin
von Dad.«
    »Hast du’s dir angehört?«
    »Nee.«
    »Was dagegen, wenn ich sie mir
mal ausborge?«
    »Behalt sie, sie gehört dir.«
    »Danke.« Ich ging in Richtung
Tür.
    »Tante Shar? Glaubst du, Mom
und Dad trennen sich wirklich?« Ich wollte ihr eine beruhigende Lüge liefern,
aber sie musste sich darauf vorbereiten können. »Kann gut sein.«
    »Was wird dann aus uns?«
    Es klang so verloren, dass ich
hinüberging und sie in die Arme nahm. »Jamie, hab keine Angst. Außer euren
Eltern — die euch lieben, egal, was zwischen ihnen ist — habt ihr ja noch
Grandma und Melvin, Grandpa und Nancy, John, Joey, Patsy und mich — samt
unseren Ehepartnern, Lebensgefährten und — gefährtinnen, Kindern und sogar
Haustieren, wenn euch die lieber sind. Alles, was ich dir sagen kann, ist, dass
ihr bei all dem nicht allein seid.«
    Sie lächelte zittrig und
drückte den Fernbedienungsknopf, um Snoop Doggy Doggs liebliche Stimme zu
reaktivieren.
     
    Auf dem Weg durch den Flur
umklammerte ich die Arletta-James- cd so
fest, dass die Plastikhülle zerbarst. Mein Puls raste und mein Mund war ganz
trocken. Wieder hatte diese Person ihre Botschaft herübergebracht: Ricky und
seine Familie waren verletzlich — selbst auf ihrem eigenen Grund und Boden, bei
der Geburtstagsfeier seiner Tochter.
    Als ich in die Diele kam, hörte
ich Stimmen aus dem Wohnzimmer. Ich bremste schliddernd auf den glatten Fliesen
und ging schnell zum Türbogen hinüber. Die Sonne war über dem fernen Meer
verschwunden, und der Westhimmel bestand aus Streifen phantastischer Rot- und
Orangetöne, die in Magenta und schließlich in tiefes Mitternachtsblau
übergingen.
    Zusammenhangslos dachte ich:
Wie war das mit dem Abendrot, das nichts Gutes verhieß?
    Jenseits der Glasfront war der
dichte Baum- und Strauchwuchs in Dunkel gehüllt. Unterwasser-Spots ließen die
schwarzen Tiefen des Pools schimmern, aber ringsum waren die Schatten so massiv
und bizarr wie die Torrey-Kiefern.
    Nicht gut, dass die
Sicherheitsscheinwerfer nicht brannten. Ich musste Hy dran erinnern, sie
nachsehen zu lassen.
    Vor der Fensterfront stand
Ricky, barfuß, in Cutoffs und T-Shirt, und sprach mit Virgil Rattray. Der
Road-Manager war wieder ganz schwarz gekleidet: Seine langen Haarsträhnen
schwangen, als er auf Ricky einargumentierte und ihm nachdruckshalber dabei auf
die Schulter patschte. Ohne das Licht der Lampe auf einem niedrigen Tischchen
hätte man ihn für eine große,

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