Das gebrochene Versprechen
seinen Töchtern.
Ich nahm das letzte Blatt von
dem Stapel, den ich vom Bürofax aus an die RKI-Niederlassung in San Francisco
faxte. Es war längst nach Mitternacht, aber ich wollte, dass die Informationen
über Rickys Angestellte und Partner, die ich aus seinen Akten zusammengesucht
hatte, morgen früh auf Charlotte Keims Schreibtisch lagen. Hinter mir ging die
Bürotür auf und zu. Hy.
»Alles unter Kontrolle?«,
fragte ich.
»Mehr oder minder. Während ich
die Leute befragt habe, wo sie zum Zeitpunkt des Schusses waren, habe ich
ausgestreut, dass es sich vermutlich um die verirrte Kugel eines Wilderers
gehandelt hat. Girdwood glaubt das nicht, zieht es aber auch nicht offen in
Zweifel. Amory ist äußerst neugierig, sowohl wegen des Schusses als auch wegen
der Sicherheitsmaßnahmen; er stellt eine Menge Fragen und bohrt und bohrt. Ich
habe ihn an Ricky verwiesen.«
»Da wird er nichts rauskriegen.
Ricky traut ihm nicht, und ich muss sagen, ich kann’s ihm nicht verdenken.
Amory ist ein manipulativer Typ. Erinnert mich an einen Erpresser, den ich mal
kannte: immer am Herumschleichen und Informationen sammeln. Egal, ob er sie
braucht oder nicht, vielleicht lässt sich ja eines Tages etwas damit anfangen.
Was ist mit den Bandmitgliedern?«
Hy zog eine Grimasse. »Da ist
eine ganz schöne Drogenorgie im Gang. Von denen ist keiner in der Lage,
irgendwas zu hinterfragen.«
»Nette Party, wirklich. Tolle
Umgebung für Chris und Jamie.«
»Hm, darüber wollte ich mit dir
reden. Deine Nichten sind in Jamies Zimmer — trösten sich, wenn ich’s recht
sehe, mit einer Portion Gras, die sie einem der Bandmitglieder abgeschwatzt
haben.«
»Himmel! Drogen und Alkohol
billigen ihre Eltern gar nicht. Ich habe Chris heute Nachmittag beim Rauchen
erwischt, und sie hat nicht mal versucht, die Zigarette zu verstecken. Aber ich
kann ihnen keine Vorhaltungen machen; es sind ja nicht meine Kinder.«
»Warum redest du nicht mit
Charlene?«
»Willst du mich veräppeln? Sie
hat sich in ihrem Zimmer verbarrikadiert. Ich hab’s vor einer halben Stunde
probiert, und sie wollte mich weder reinlassen noch durch die Tür mit mir
reden. Wo ist Ricky?«
»Unten im Probenstudio, mit der
Band.«
»Jetzt? Es ist gleich ein Uhr
morgens.«
»Musiker halten sich nicht an
normale Zeiten, genauso wenig wie du und ich. Außerdem verfährt er, glaube ich,
nach dem Prinzip, wenn dein Leben in die Binsen geht, stürz dich in die Arbeit.
Jedenfalls ist er dort. Girdwood und Amory haben sich wieder über die Bar
hergemacht. Der Arzt war da, und Rattray liegt, gut versorgt, in einem der
Gästezimmer.«
»Sie haben auch noch
Gästezimmer, außer den Gästehäusern?«
Hy hockte sich auf die
Schreibtischkante und gähnte. »Ich schätze, sie haben mit Wochenenden wie
diesem gerechnet.«
»Kein vernünftiger Mensch
rechnet mit Wochenenden wie diesem. Du sagst, die Bandmitglieder haben einiges
an Drogen intus. Was ist mit Ricky?«
»Na ja, dort unten geht gerade
ziemlich hochwertiger Koks herum, und mir hat er auch was davon angeboten.«
Ich runzelte die Stirn.
»Nein, McCone, ich hab’s nicht
angenommen. Sehe ich aus wie jemand, der auf synthetischer Energie läuft?«
»Na ja, wenn Ricky auf Koks
ist, ist er wohl nicht gerade eine große Hilfe, was Chris und Jamie angeht.
Aber ich sollte ihm trotzdem Bescheid sagen.«
»Willst du nicht erst mal zu
ihnen gehen und gucken, ob ich mich vielleicht täusche? Wenn nicht, kommen sie
jedenfalls nicht weit. Ich habe den Posten in ihrem Trakt angewiesen, auf sie
aufzupassen.«
Das entschärfte die Situation
etwas. »Und wo waren die Leute alle im Moment des Schusses?«
»Leider ist das, was ich aus
ihnen herausgekriegt habe, bestenfalls vage und unverlässlich. Die
Bandmitglieder behaupten, sie seien drunten im oder beim Probenstudio gewesen
und hätten gewartet, dass Ricky mit Rattray fertig ist, aber keiner kann
irgendwessen Story bestätigen’. Und keiner will den Schuss gehört haben.«
»Das kann sein. Das Studio ist
absolut schalldicht und so weit vom Haus weg, dass man einen Schuss von dort
aus für eine Fehlzündung halten könnte. Was ist mit Amory und Girdwood?«
»Waren gerade vom Essen zurück
und haben sich noch auf dem Parkplatz unterhalten.«
»Kurzes Essen.«
»Stimmt, aber der Posten am Tor
bestätigt ihre Rückkehrzeit.«
»Vom Personal war niemand auf
dem Gelände?«
»Die wohnen alle außerhalb.«
»Ich frage das ungern, aber was
ist mit Charlene, Chris und
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