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Das gebrochene Versprechen

Das gebrochene Versprechen

Titel: Das gebrochene Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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dünne Frau halten können. Ich blieb auf der
obersten Stufe stehen. Angesichts der riesigen Glasfläche fühlte ich mich
irgendwie entblößt und verwundbar. Ich hatte wenig Rouleaus oder Vorhänge in
diesem Haus gesehen; na ja, auf zwanzig Morgen Waldland brauchte man keinen
Blickschutz. Die beiden hörten mich und drehten sich um. Ricky trat einen
Schritt vor und setzte an, etwas zu sagen. Rattray schlüpfte um ihn herum.
    Glas barst.
    Ich sah zuerst das
Einschussloch. Dann zogen sich Sprünge in wildem Zickzack durch das Glas, wie
eine aufbrechende Eisdecke im Zeitraffer. Splitter flogen zimmereinwärts,
während irgendwo im Schwarz jenseits des Pools ein Schuss krachte.
    Virgil Rattray sackte zu Boden.
    Ricky stand einfach nur da.
    Ich hechtete los und riss ihn
um.

10
     
    Schreie. Leute kamen ins Zimmer
gerannt. Ich konnte Hy per Walkie-Talkie den Wachleuten zubrüllen hören, sie
sollten das ganze Anwesen absuchen, niemanden herein- oder hinauslassen. Etwas Schweres
lag auf meinem Unterkörper. Ricky. Ich tastete nach ihm, fühlte Glassplitter am
Boden und eine dicke, glitschige Flüssigkeit. Blut. Ich konnte es riechen. Zu
viel Blut für oberflächliche Schnittverletzungen.
    In Panik versuchte ich mich
freizukämpfen, aber Ricky wälzte sich bereits von mir hinunter. Menschen
drängten sich jetzt um uns, und jemand zog ihn hoch. Ich drehte mich auf die
Seite, fühlte Glas in meine Unterarme schneiden, zuckte zusammen. Rattray
konnte ich nicht sehen.
    Ricky sagte: »Shar — bist du
okay?«
    »McCone?«, rief Hy.
    »Ich bin okay. Was ist mit
Rattray?«
    Jetzt trat jemand zurück. Ich
sah den Road-Manager in Embryonalstellung daliegen und heisere, hohe Laute
ausstoßen, die mich an einen panischen Papagei erinnerten. Einer der RKI-Leute
kniete neben ihm, löste Rattrays Finger von dessen rechter Schulter, wo Blut
hervorquoll und auf den Fußboden hinunterlief. Er riss Rattrays Hemd auf und
inspizierte die Wunde. Dann sagte er: »Er hat eine Menge Blut verloren, aber es
ist nicht so schlimm.«
    »Was, zum Teufel, soll das
heißen, nicht so schlimm?«, krächzte Rattray. »Es tut höllisch weh, du
Wichser!«
    Ricky seufzte erleichtert auf.
»Rats ist liebenswürdig wie immer; er wird’s überleben.« Er streckte die Hände
aus und zog mich hoch. Er war blass und zittrig und hatte Schnittverletzungen
an den Unterarmen, schien aber ansonsten okay zu sein.
    Hy war immer noch am
Walkie-Talkie. »Nichts? Na ja, sucht weiter. Und setzt mir die
Sicherheitsscheinwerfer in Gang; checkt die Kippsicherung in dem Kasten an der
Nordwand der Garage.« Zu dem RKI-Mann, der neben Rattray kniete, sagte er:
»Rufen Sie den Arzt in Pacific Beach an, mit dem wir zusammenarbeiten, und
sorgen Sie dafür, dass er herkommt. Dieser Mann muss versorgt werden, aber es
darf kein Polizeiprotokoll geben.«
    Ich sah auf die Glasscherben am
Boden. Arletta James’ blutbeflecktes Gesicht starrte mir von dort entgegen, wo
ich die cd hatte fallen lassen.
Einen Moment war mir, als würde ich in einen Strudel gesogen, dann stützte mich
Ricky, und der Schwindel ließ nach. Die Sicherheitsscheinwerfer am Pool
leuchteten auf. Hy sagte ins Walkie-Talkie: »Was war’s denn?... Hm, dachte ich
mir... Nichts? Na ja, macht weiter, bis ihr alles abgesucht habt. Dann will ich
eine vollständige Liste aller Personen, die heute Abend das Grundstück betreten
oder verlassen haben — mit genauen Zeiten. Und haltet mir, um Himmels willen,
die Familie aus diesem Teil des Hauses fern.«
    Zu spät. Ich sah auf und
erblickte meine Nichten oben in der Diele. Jamie weinte, und eine weißlippige
Chris hielt sie an den Schultern zurück. Ich tat einen Schritt auf sie zu,
blieb dann aber stehen, als ich Charlene am Fuß der Stufen stehen sah.
    Sie sah schrecklich aus. Seit
ich sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie dünn und hohlwangig geworden. Ihr
sonst so glänzendes kurzes Blondhaar war strohig und ungepflegt, ihre Haut
blass und papieren. Aber das Schlimmste waren ihre Augen: lila umschattet und
jetzt schwarz und bodenlos vor Entsetzen.
    Als ich sie ansah, hatte ich
das seltsame Gefühl, dass sich die Zeit verlangsamte. Sie stand erstarrt da und
starrte Ricky an. Er guckte zurück, rührte sich aber ebenfalls nicht.
Schließlich tat sie einen zaghaften Schritt auf ihn zu und streckte die Hände
aus.
    Ricky wandte sich ab.
    Sie blinzelte, sah auf ihre
vorgestreckten Hände und rannte hinaus.
    Ricky wartete, bis ihre
Schritte verklungen waren; dann ging er zu

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