Das gebrochene Versprechen
Auf dem Schreibtisch zwischen ihnen
lag ein Gewehr.
»Ist das die Waffe des
Heckenschützen?«, fragte ich.
Sie fuhren erschrocken herum.
»Könnte sein«, sagte Hy. »Ironischerweise handelt es sich um eine Savage
dreihundertvierzig. Kaliber dreißig, genau wie die Kugel, die wir gefunden
haben.«
»Savage?«
»Gebräuchliches Sportgewehr.«
»Himmel, erzähl mir nicht,
diese oder dieser Irre macht auch noch Witzchen! Wo war das Ding?«
»Lag in der Nähe der Mauer zum
Canyon nördlich des Grundstücks.«
Fallen gelassen, als die Person
die Mauer überkletterte? Nein, das konnte nicht sein; die Melder auf dieser
Mauer waren nicht außer Funktion gewesen. »Wieso habt ihr so lange gebraucht,
um das Gewehr zu finden? Ihr durchkämmt das Gelände jetzt schon über
vierundzwanzig Stunden.«
Der RKI-Mann sagte: »Es war
ziemlich gut versteckt — unter einem Laubhaufen und einem drübergewälzten
Baumstamm. Ich hab’s nur bemerkt, weil der Boden aufgewühlt war, da, wo der
Baumstamm bewegt worden war.«
Ich runzelte die Stirn.
Hy machte »Hm«. Zu dem RKI-Mann
sagte er: »Danke. Sie können jetzt Ihren Posten wieder einnehmen.«
Als der Mann draußen war,
setzte Hy sich in den Drehstuhl. Ich hockte mich auf eine Schreibtischecke und
sah ihn an. »Du denkst dasselbe wie ich«, sagte ich. »Das Gewehr wurde
absichtlich versteckt, von jemandem, der auf dem Grundstück blieb. Jemandem,
der wusste, dass es nicht möglich war, es wegzuschaffen oder im Haus oder in
einem der Wagen zu verstecken. Und angesichts der Gewehrmarke würde ich sagen,
wir sollten es finden. Die Person, die dieses hässliche Spiel mit uns spielt,
wird nicht nur aggressiver, sondern fängt auch noch an, uns zu foppen.«
»Tja, wenn das stimmt, bleiben
nur die Familienmitglieder, Girdwood, Amory und die Band.«
»Und das passt nicht zu den
neuen Fakten.« Ich referierte sie ihm kurz und sagte dann: »Falls die Terriss
hinter dem Ganzen steckt, hat sie einen Komplizen in Rickys Umfeld. Jemanden
von den neun Personen, die Samstagabend hier waren. Ich glaube, die Familie
können wir streichen — bleiben noch Girdwood, der als Rickys Manager wohl kein
Interesse dran haben dürfte, ihn zu erschießen —«
»Unseres Wissens.«
»...Okay, bleiben also Girdwood
und Amory und die Band. Ich neige ja eher dazu, eins der Bandmitglieder zu
verdächtigen. Keim kümmert sich gerade um ihre Vorstrafen und Kreditauskünfte;
vielleicht findet sie ja irgendeinen Fingerzeig.«
Hy strich sich nachdenklich den
Schnauzbart. »McCone, einen langsamen, steten Rachefeldzug kann ich mir ja noch
vorstellen. Dass sie die Kerle umbringt, die ihr weiß der Teufel was angetan
haben, dass sie das Haus niederbrennt, gemeine Gerüchte in die Welt setzt, sich
an Chris’ Wagen zu schaffen macht, Rick einen windigen Anwalt auf den Hals
hetzt, okay. Aber was hat diese Briefserie ausgelöst? Was sollte diese Frau —
wenn sie denn wirklich dahinter steckt — veranlasst haben, urplötzlich ihre
Kampagne zu intensivieren?«
Genau darüber hatte ich auf der
Herfahrt nachgedacht, und ich glaubte die Antwort zu kennen. »Der erste Brief
kam eine Woche nach dem Billboard -Artikel über das neue Label. Der Brief
lautete: ›Was ist mit meinem Lied geschehn?‹ Eine Textzeile aus einer Ballade,
gesungen von einer Sängerin, die sich in ihren Liner-notes bei Ricky dafür
bedankt, dass er ihr auf ihrem Karriereweg geholfen hat.«
»Und?«
»Die Logik ist ziemlich
verquer, und die Botschaft scheint kryptisch, aber wenn man davon ausgeht, dass
die Terriss dahinter steckt, ist das Ganze simpel. Sie dachte anfangs, sie
könnte ihn erpressen, Charlene zu verlassen und sie, Patricia, zum Star zu
machen. Jetzt glaubt sie, ihn durch ihren Terror dazu bringen zu können, sie
bei seinem neuen Label unter Vertrag zu nehmen.«
15
Halb sechs an einem
Montagabend. Die absolut schlechteste Zeit, um einmal quer durch L.A. zu
fahren.
Aber vielleicht gab es ja gar
keine gute Zeit, dachte ich, als ich unter der Rosencrans-Avenue-Überführung
auf dem San Diego Freeway festsaß. Ich war diese Strecke so oft gefahren, seit
ich nach Norden gezogen war, und nie war ich glatt durch diese Monsterstadt
gekommen; einmal hatte ich um zwei Uhr morgens bei Culver City in einem
gigantischen Stau gesteckt.
Nach einer Stunde erreichte ich
endlich das Kreuz San Diego Freeway - Ventura Freeway. Der nächste Stau kam auf
der Auffahrt, aber in der Gegend von Thousand Oaks lichtete sich der
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