Das gebrochene Versprechen
Verkehr
etwas, und ich legte einen Zahn zu. Bald hatte ich das Becken von L.A. hinter
mir, und die Luft sah etwas klarer aus. Ich ließ das Fenster herunter und schnupperte;
sie war wirklich sauberer. Kurz vor acht nahm ich die
California-Street-Ausfahrt nach Ventura. Ich konnte schon das Meer riechen.
Die Touristenmeilen
kalifornischer Küstenorte sehen alle ziemlich gleich aus, und Ventura war da
keine Ausnahme: Restaurants mit Meerblick, die allgegenwärtigen T-Shirt-Shops,
kitschige Souvenirlädchen und Fastfood-Schuppen; Hotels und Motels von luxuriös
bis schäbig. Das Spindrift Inn war weder das eine noch das andere. In einer
ruhigen Seitenstraße nicht weit vom Yachthafen gelegen, bestand es aus gut
zwanzig ockerfarben verputzten Bungalows, die sich in einigem Abstand vom
Hauptgebäude befanden und durch efeuberankte Holzspaliere voneinander
abgeschirmt waren. Der ideale Ort für ein Schäferstündchen — oder eine Verabredung,
die zur Falle wurde.
Ich fuhr den Wagen auf einen
Parkplatz mit dem Hinweis »Nur für Gäste«, blieb einen Moment sitzen und
betrachtete die Anlage. Ricky hatte mir gesagt, dass Dan diesen Ort damals
ausgesucht hatte — er kannte ihn, weil er hier selbst Wochenenden mit
wechselnden Freundinnen verbracht hatte. Ich fragte mich nicht zum ersten Mal,
ob Dan und Benjy mit einem Plan hierher gekommen waren, wie sie mit Patricia
Terriss umgehen wollten, oder ob sie der Konfrontation einfach ihren Lauf lassen
wollten, wo immer das hinführen würde. Ich fragte mich auch, wieso mein
Schwager bei all dem eine so ungewöhnlich passive Rolle gespielt hatte, und kam
zu dem Schluss, dass er gar nichts über die Absichten seiner Freunde hatte
wissen wollen, in der Hoffnung, dass ihn das Nichtwissen irgendwie weniger
schuldig machen würde.
Hat nicht ganz funktioniert,
was, Ricky?
Ich stieg aus und ging hinein.
Das Motel war eindeutig ein Mom & Pop-Unternehmen: Hinter der
Empfangstheke sah man durch eine offene Tür in ein gemütliches Wohnzimmer, wo
ein älteres Paar vor dem Fernseher saß und eine Wiederholungsfolge von »Law
& Order« guckte. Ich betätigte die Klingel, und der Mann, hager und
gebeugt, erhob sich langsam aus seinem Sessel und humpelte herbei. Seine Hände
waren knotig und arthritisch verkrümmt. Ich zeigte ihm meinen Ausweis. Er
betrachtete ihn interessiert, und so etwas wie freudige Erregung trat in seine
wässrigen Augen. Dann schielte er in das Wohnzimmer hinter sich, in dem die
Frau gebannt das TV-Drama verfolgte. Er sagte ihr nichts; dieses
Real-Life-Drama hier war seins, und er war nicht bereit, es zu teilen.
Ich fragte: »Sind Sie der
Manager?«
»Der Besitzer«, antwortete er
mit einem gewissen Stolz.
»Waren Sie das auch schon vor
drei Jahren?«
»Seit Ende der siebziger Jahre,
da bin ich vorzeitig in den Ruhestand gegangen.«
»Vor drei Jahren, am
neunundzwanzigsten Juni, war hier eine junge Frau. Groß, schlank, taillenlanges
braunes Haar, große, grüne Augen. Sie hat sich eventuell unter dem Namen Patricia
Terriss eingetragen. Erinnern Sie sich vielleicht an sie?«
»Drei Jahre sind eine lange
Zeit, Miss.«
»Sie war sehr hübsch, habe ich
gehört. Sie war allein, aber später könnte noch jemand dazugekommen sein.«
Er warf wieder einen Blick ins
Wohnzimmer. Jetzt lief Reklame, und die Frau hatte den Ton abgestellt. Dann
flüsterte er: »Na ja, ich könnte die Eintragungen durchsehen.«
Ich zog einen Zwanziger aus
meiner Brieftasche und legte ihn auf den Tresen. »Ich bezahle Ihnen gern Ihre
Zeit; ich halte Sie vom Fernsehen ab.«
Er wollte eine abwehrende
Bewegung machen, doch ohne den Kopf zu drehen, sagte die Frau: »Nimm das Geld,
Harry.«
Er funkelte sie wütend an, nahm
den Zwanziger und setzte sich umständlich an den Tisch hinterm Tresen. Während
er den pc einschaltete, formten seine Lippen lautlos die Worte »alte Hexe«. Er
begann, mühevoll die Tasten zu drücken, um an die alten Eintragungen zu kommen.
Kurz darauf sagte er: »Hier ist es — neunundzwanzigster Juni
neunzehnhundertzweiundneunzig. Drei Paare, drei allein reisende Herren. Keine
einzelne Frau. Keine Patricia Terriss.«
»Darf ich mal schauen?«
Er drehte den Bildschirm in
meine Richtung.
Ich ging die Namen durch und
stoppte bei der Eintragung von Mr. und Mrs. Ricky Savage, unter der alten
Adresse in Pacific Palisades. Ricky hatte ihr gesagt, sie solle sich unter
ihrem Namen eintragen. Fand sie so etwas besonders witzig, oder hatte sie den
Motelbesitzer beeindrucken
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