Das Geburtstagsgeschenk
Bescheid – oder zumindest in etwa Bescheid. Dass Hebes Freundin, die ›Alibi-Lady‹, ihn am Vorabend angerufen hatte, erfuhren wir an jenem Tag nicht. Man merkte, dass er sich bemühte, das Thema zu wechseln. Alles wieder im grünen Bereich, hatte er gesagt, und jetzt sah es so aus, als stünden die Zeichen immer noch auf Sturm. Ivor gehört zu den Menschen, die versuchen, jeder Situation etwas Positives abzugewinnen, alles möglichst optimistisch zu sehen – eine nützliche Eigenschaft für Politiker. Welcher Parlamentarier stellt sich schon im Unterhaus hin und erklärt, der Krieg sei ein Fehler gewesen, die Wirtschaft in Nöten und die Zukunftsaussichten düster? Ivor setzte sich auf, bat um einen zweiten Gin Tonic und sagte, alles werde bestimmt gut ausgehen, der Wirbel werde sich bald legen.
»Darf ich euch zum Essen einladen?«
Wir nahmen Nadine in ihrem Buggy ungern mit in Restaurants. Ich ärgerte mich dort über missbilligende Blicke anderer Gäste, und Iris wurde nervös, wenn ich mich ärgerte. Wir begnügten uns deshalb mit ein paar Resten und kaltem Huhn, und nach dem Essen gingen wir auf der Heath spazieren. Es war ein warmer, sonniger Tag, und wir sprachen über andere Dinge.
Danach sahen wir Ivor längere Zeit nicht. Iris hatte mir Anfang Juni gesagt, dass sie wieder schwanger sei, und ich war überglücklich. Aber auch wenn wir jetzt mit anderem beschäftigt waren, dachten wir viel an Ivor. Wir waren beide der Meinung, dass er sich bei der Polizei hätte melden müssen, sobald er von dem Unfall erfahren hatte, und dass er das unterlassen hatte, führte zu einer gewissen Distanz zwischen uns. Es sähe ihm nicht ähnlich, sagte Iris, sie hätte so etwas nie von ihm geglaubt. Ich dagegen fand sein Benehmen typisch für Politiker, die nicht mehr wiederzuerkennen sind, wenn sie Blut geleckt haben und die Möglichkeit sehen, mehr Macht zu bekommen.
Wir lasen täglich Zeitung – mehr und ausgiebiger als sonst. Wir sahen öfter die Fernsehnachrichten und hörten mehr Radio. Die meisten anonymen Briefe, die Damian Mason bekommen hatte, wurden veröffentlicht – fotografiert oder als Faksimiles abgedruckt. Die Boulevardzeitungen brachten Bilder von Kelly Mason, von ihrem verängstigten Gesicht hinter der Fensterscheibe oder wie sie sich im Laufschritt zu ihrem Wagen flüchtete. Eine ihrer Schwestern hatte ihnen dummerweise, ohne sich etwas dabei zu denken, ein Foto von Kelly im Bikini gegeben. Der gerichtlichen Untersuchung schenkte keine Zeitung weiter Beachtung, nur ein seriöses Blatt erwähnte sie überhaupt. Zu Hebe Furnals Beerdigung waren offenbar weder Reporter noch Fotografen erschienen. Die Trauerfeier für Lloyd Freeman hingegen war ein großes Medienereignis, der Sarg begraben unter einem Meer von Kreuzen und Kränzen. Von Lloyd erschienen fast so viele Fotos wie von Kelly Mason, unter anderem eins, das auf jener Party bei Nicola Ross entstanden war. Darauf hatte er den Arm um eine Frau gelegt, die vermutlich seine Freundin war.
Die bedeutsamste Meldung war die Mitteilung der Polizei an die Presse, unter den Gegenständen, die in dem Unfallwagen und am Unfallort gefunden wurden, habe sich auch eine Schusswaffe befunden. Eine Neun-Millimeter- Pistole, die Lieblingswaffe von James Bond. Iris und ich vermuteten, dass sie zu den »Requisiten« gehörte, die Dermot auf Ivors Geheiß besorgt hatte, aber heutzutage kann man in England nicht einfach in ein Geschäft gehen und eine Schusswaffe kaufen, so wie man Handschellen und Knebel kauft. Die Pistole war echt, Munition dazu fand sich allerdings nicht.
In jener ersten Juniwoche wurde, soweit ich das feststellen konnte, Dermot Lynch nur einmal erwähnt, in einem kurzen Absatz am Ende einer Innenseite. Er läge noch immer bewusstlos in einem nicht genannten Krankenhaus, und nur seine Mutter, Mrs. Philomena Lynch, und sein Bruder Sean dürften ihn besuchen. Das Interesse der Medien an Hebe war erloschen. Es war offenbar zu einer Verwechslung gekommen, und das überspielte man am besten, indem man nicht mehr darauf einging. Hebe hatte in dem Unfallwagen gesessen, Hebe war beobachtet worden, wie man sie in den Wagen verfrachtet hatte, und Hebe war tot – aber all das war Vergangenheit, und die ließ man am besten ruhen. Ob die Polizei das auch so sah, wage ich zu bezweifeln. Sie dürfte beide Möglichkeiten weiterverfolgt haben – für sie kamen Hebe und Kelly als Opfer in Frage –, aber die Presse interessierte das nicht.
Ivor hatte sich
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