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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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zunächst einigermaßen erfolgreich bemüht, uns einzureden, dass er keinen Grund mehr zur Sorge habe, Dermot Lynch werde nicht mehr gesund werden, über das Geschehen nie vernünftig und zusammenhängend berichten können. Er selbst aber glaubte daran nicht. Auch Schwerverletzte können wieder zu sich kommen, sogar nach monatelangem Koma, auch schon vor siebzehn Jahren, und heutzutage, da die Medizin so große Fortschritte gemacht hat, sowieso. Ivor wusste das so gut wie ich, und es trieb ihn um. In den Wochen nach dem Unfall versuchte er mehrmals, in Erfahrung zu bringen, wo Dermot lag und wie es ihm ging. Das erzählte er uns später, als er um unsere Mithilfe bat.
    Er kannte die Adresse der Lynchs – Rowley Place, Paddington, ein Block von Sozialwohnungen des Westminster City Council –, in dem Dermot mit seiner Mutter und seinem Bruder gelebt hatte. Er kannte die Telefonnummer. Natürlich hatte er auch die Nummer der Werkstatt in Vauxhall, wo Dermot gearbeitet hatte, aber er traute sich nicht, dort anzurufen, auch wenn er es nicht zugab. Vielmehr hoffte er die ganze Zeit, Dermot werde nie mehr zu sich kommen, am besten sogar sterben, aber dank seiner Herkunft und Erziehung und weil ihm aus seiner Jugend noch ein bisschen Religiosität geblieben war, begriff er gleichzeitig, dass dieser Wunsch schockierend, ja ungeheuerlich war.
    Er hatte oft mit dem Gedanken gespielt, Mrs. Lynch anzurufen, sich als Freund von Dermot auszugeben und sich nach ihm zu erkundigen, aber dagegen sprach einiges. Unter anderem seine Stimme. Er hatte einen unüberhörbaren Oberschicht-Tonfall, der sich deutlich von dem eines gebildeten Menschen aus der Mittelschicht unterscheidet, und konnte seine Stimme nicht verstellen. Er hätte sich als Dermots Arbeitgeber ausgeben können (was er im weitesten Sinne ja auch kurze Zeit gewesen war) oder als ein Kunde der Werkstatt (was den Tatsachen entsprach), aber dass er Dermots Freund war, würde die Mutter ihm nie abnehmen. Die Frage war auch, wie weit Dermot sie in die Sache mit dem Geburtstagsgeschenk eingeweiht hatte. Viel würde er ihr nicht anvertraut haben, weil sie das Unternehmen wohl kaum gebilligt hätte. Er konnte aber durchaus seinem Bruder davon erzählt und dabei auch den Namen seines Auftraggebers genannt haben. Wahrscheinlich war das nicht, denn dann wäre Sean Lynch doch sicher zur Polizei gegangen. Trotzdem mochte Ivor ihn nicht anrufen, um Sean nicht auf dumme Gedanken zu bringen.
    Lieber versuchte er von sich aus, Dermots Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen. Er habe noch nie in einem Krankenhaus angerufen, um sich nach dem Befinden eines Patienten zu erkundigen, erzählte Ivor, er sei wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Zentrale ihn zu der entsprechenden Station durchstellen würde. Stattdessen wollte man wissen, ob er ein Angehöriger sei, und als er sagte, er sei nur ein Bekannter, hieß es, dass man Auskünfte nur an Familienmitglieder erteilen könne. Seine Frage, ob Dermot überhaupt dort sei, wurde mit derselben Begründung abgeschmettert. Überall ging es ihm gleich. Endlich räumte ein Krankenhaus im Nordwesten von London ein, dass Dermot dort war, aber mehr könne man ihm nicht sagen, da er kein naher Angehöriger sei. Ivor überlegte kurz, ob er sich als Familienmitglied ausgeben sollte, verwarf das aber gleich wieder, um nicht noch mehr Scham und Selbstekel zu empfinden und weil er sich nicht noch mehr exponieren wollte. Schließlich hätte er damit nach außen zum ersten Mal zugegeben, dass er etwas mit der Entführung und dem Unfall zu tun hatte. Auf fast abergläubische Weise war er davon überzeugt, dass er sich damit der Gefahr der Entdeckung aussetzen und dann all das auf ihn zukommen würde, was ihm bislang erspart geblieben war – Besuche von Polizeibeamten, Anrufe der Presse, gehässige Kolumnen.
    Die Entführungsstory wanderte von den Titelseiten ins Innere der Blätter, verschwand gänzlich aus dem Fernsehen und ward eines Tages nicht mehr gesehen. Der Wirbel hatte sich gelegt. Nur nicht für Ivor und wohl auch nicht für Kelly und Damian Mason. Ivor litt zu seiner Überraschung unter dem Verschwinden der Story noch mehr als unter der Story selbst, denn nun stellte er sich vor, was sich unter der glatten Oberfläche tun mochte. Er hatte viel Phantasie, und die gaukelte ihm Schreckensbilder vor. Ohne dass er oder sonst ein Mensch es ahnte – vielleicht bis auf Gerry Furnal und Damian Mason und die Polizei –, war ein Räderwerk in

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