Das Geflecht
steigen mit den Leistungen.
Dabei hatte sie in der Tat eine Idee, scheute sich jedoch, sie zu Ende zu denken. Es würde gefährlich sein und ihren ganzen Mut erfordern, ganz zu schweigen von außergewöhnlicher Kraft und Körperbeherrschung. Gab es wirklich keine Alternative?
Nein. Es sei denn, sie blieben an Ort und Stelle und warteten auf Hilfe von draußen, und die war seit Stunden überfällig. Die Rettungskräfte hatten den Höhlenausgang nicht gefunden, sonst wären sie längst eingetroffen.
Sie holte tief Luft. «Leon? Gib mir das Seil.»
«Was hast du vor?»
«Wir werden uns hinüberschwingen – im Tarzan-Stil. Ichmuss versuchen, das Seil an der Decke über dem Abgrund festzumachen.»
«Was?» Leon klang erschrocken, als er ihr das aufgerollte Seil reichte. «Und wie zum Teufel willst du das hinkriegen?»
«Ich habe ein halbes Dutzend Klemmkeile im Gepäck. Es wird mir nichts anderes übrig bleiben, als mich von einem zum anderen zu hangeln. Du musst mich hochheben, damit ich den ersten verankern kann – die Decke ist zwei Meter hoch, direkt über dem Abgrund sogar drei.»
«Um Himmels willen, Tia! Bist du sicher, dass du das tun willst?»
«Wir haben keine Wahl.»
«Denk daran: Wenn dir etwas passiert, sind wir anderen so gut wie verloren.»
«Ich denke seit Stunden an
nichts anderes!
», versicherte Tia scharf. «Du kannst mir glauben, dass das kein Vergnügen ist!»
Leon schwieg einen Moment betreten.
«Okay», lenkte er schließlich ein. «Sag mir einfach, was ich tun soll.»
Tia zog die Klemmkeile aus ihrem Rückengepäck und steckte sie nebeneinander in ihren Gürtel. «Heb mich an den Hüften hoch, so weit du kannst.»
Leon zögerte.
«Mach schon!» Sie drängte sich an ihn. «Verschränk die Hände unter meinem Po und lehn dich nach hinten, dann wird es gehen.»
Er tat es und stemmte sie ohne größere Mühe in die Höhe, sodass sein Kopf auf Höhe ihrer Brust war. Tia streckte beide Arme aus und betastete die Höhlendecke. Das Gestein war von zahlreichen Spalten und Fugen durchzogen, sodass es nicht lange dauerte, bis sie eine geeignete Stelle gefunden hatte. Rasch zog sie einen Klemmkeil hervor, schob ihn in eine derÖffnungen und packte die Schlaufe, die normalerweise zum Einhängen des Seils vorgesehen war.
«Lass mich los! Dann kann ich sehen, ob er hält.»
Vorsichtig gab Leon ihren Körper frei.
Ruhig atmen!, befahl sich Tia, als sie frei im Raum schwebte und ihr gesamtes Gewicht an ihrer rechten Hand hing. Du schaffst das. Konzentrier dich!
Mit der linken Hand tastete sie nach dem nächsten geeigneten Punkt in der Decke, die sich in Richtung des Abgrunds kuppelförmig hochwölbte. Sie setzte den zweiten Keil, zog prüfend daran, ergriff die Schlaufe und wagte es schließlich, mit der anderen Hand loszulassen. Dabei keuchte sie vor Anstrengung, während ihre Armmuskeln zitterten.
«Alles in Ordnung?», rief Leon besorgt.
Tia hatte keinen Atem übrig, um zu antworten. Wieder tastete sie sich ein Stückchen vor, setzte den dritten Keil und ließ den zweiten los.
Vier Armlängen – also brauchte sie fünf Keile, den ersten eingerechnet. Keine Zeit zum Ausruhen. Sie hing mitten über dem Abgrund, und ihre Kraft musste noch reichen, um sich wieder zurückzuhangeln. Sie versuchte, nicht daran zu denken, dass sich unter ihr ein senkrechter Schacht befand, dessen Echo eine Tiefe von mindestens dreißig Metern signalisierte. Als sie den vierten Keil gesetzt und erneut ihr Gewicht verlagert hatte, knirschte die Halterung bedenklich.
Komm schon, komm schon!, beschwor sie in Gedanken die Mechanik. Mein Fliegengewicht wirst du aushalten, okay?
Der Keil tat ihr den Gefallen. Tia platzierte den fünften, hängte sich an ihn und griff mit der freien Hand nach dem Seil, das sie sich aufgerollt über die Schulter gelegt hatte. Es dauerte einige Sekunden, bis es ihr gelang, es durch die Schlaufe zu ziehen. Dann klemmte sie sich beide Enden des Seils zwischendie Zähne, um sie auf keinen Fall zu verlieren, und machte sich auf den Rückweg.
Zwar musste sie keine Keile mehr setzen und hatte die Hände frei – dennoch kam ihr der Weg unendlich lang vor, denn sie hatte den größten Teil ihrer Kraft verbraucht. Ihre Armmuskeln schienen vor Schmerz zu schreien, und jeder Umgriff von einem Keil zum nächsten presste ein ersticktes Keuchen aus ihrer Kehle. Wieder und wieder sagte sie sich, dass sie nicht innehalten durfte, biss die Zähne zusammen und tastete sich so schnell wie möglich
Weitere Kostenlose Bücher