Das Geflecht
Hindernisse voran, begann sein eigener monotoner Schrittrhythmus ihn einzuschläfern,und Dana musste ihn an der Schulter rütteln, weil er mitten im Gehen einzuknicken drohte.
Justin hatte Tias Worte verstanden, auch wenn es ihm schwerfiel, sie mit einer sinnvollen Bedeutung anzureichern. Es war von einem Gift die Rede gewesen, einem lähmenden Gift. Unter gewöhnlichen Umständen hätte er dagegen angekämpft. Erfahrungsgemäß war er in der Lage, sich selbst nach reichlichem Genuss von Alkohol oder Marihuana noch so weit zu disziplinieren, dass er laufen, Fahrrad fahren, Handball spielen und zur Not sogar seine Schulaufgaben machen konnte. Er gehörte zu jenen Menschen, denen man selbst einen Vollrausch kaum anmerkte, die niemals schwankten oder lallten und stets wussten, was sie taten – «resistent gegen psychotrope Substanzen», wie sein Biologielehrer es formuliert hätte, oder schlicht «hart im Nehmen», um mit Finns Worten zu sprechen.
Der gegenwärtige Zustand jedoch unterschied sich von jedem Drogenrausch, den Justin bisher erlebt hatte. Während das Grasrauchen zumeist nur eine angenehme Entspannung erzeugte, fühlte er sich jetzt, als sei seine Wirbelsäule aus weichem Gummi und sein Kopf mit Watte gefüllt. Tanzende Lichtflecke erschienen vor seinen Augen, verdichteten sich zu schemenhaften Gestalten und irrlichterten hierhin und dorthin wie Gespenster. Es fühlte sich an wie ein Traum, dessen Irrealität er erkannte und der ihn dennoch unwiderstehlich in eine fremde Welt hinüberzog. Am liebsten wäre er niedergesunken, wo er gerade stand, um augenblicklich in tiefen Schlaf zu fallen, zusammengerollt wie ein Säugling.
«Aufstehen, Justin! Bleiben Sie bei uns!», schnitt eine mitleidlose Stimme durch die zähe Masse, die sich über die Oberfläche seines Bewusstseins gelegt hatte. Es war nicht Danas Stimme, sie klang dunkler und kühler. Ihm wurde bewusst, dass er auf die Knie gesunken war und dass jemand ihm mitder flachen Hand die Wange klopfte. «Es ist dieser verdammte Pilz! Er will, dass Sie sich hinlegen und einschlafen, damit er Sie in aller Ruhe überwuchern kann. Sie sind doch sonst ein Kämpfertyp – wehren Sie sich dagegen!»
«Ich bin so müde», raunte er. «Können wir nicht … eine Pause machen …?»
«Auf gar keinen Fall!», beschied die Stimme. «Sie müssen in Bewegung bleiben. Aufstehen, Justin! – Dana, legen Sie seinen Arm über Ihre Schulter und sehen Sie zu, dass er vorwärts kommt!»
Gehorsam mühte Justin sich auf die Beine und stolperte weiter. Seine Füße bewegten sich mechanisch, während sein Kopf schlaff herabhing, als könnten seine Halswirbel das Gewicht des Schädels nicht mehr tragen. Sein Bewusstsein trübte sich ein, driftete davon, füllte sich mit Bildern.
Unversehens stellte er sich vor, er läge neben Dana in seinem Bett, auf einer weichen Matratze, unter einer dicken Daunendecke bei gelöschtem Licht. Das Einzige, was störte, waren die Bewegungen seiner Füße, die Stimmen, die Schritte – doch sie entfernten sich schon wieder, wurden leiser wie Geräusche aus einem Radio, dessen Lautstärke heruntergeregelt wurde.
Dana …
Er dachte an jenen Morgen kurz nach seinem sechzehnten Geburtstag, als Dana zum ersten Mal die Nacht bei ihm verbracht hatte. Sie hatten in der Tür gestanden und sich mit vielen letzten und allerletzten Küssen voneinander verabschiedet, während seine Mutter vorgefahren war, um ihn wieder einmal für ein paar Tage zu sich zu holen. Als Justin zu ihr ins Auto gestiegen war, hatte sie Dana mit gerunzelten Brauen nachgeblickt.
«Was willst du denn mit der?», hatte sie gefragt. «Das ist doch wohl nicht deine neueste Freundin, oder? Ganz schön breite Hüften, wenn du mich fragst.»
Justin hatte gespürt, wie ihm das Blut in den Kopf gestiegen war. Normalerweise hätte er jedem, der abfällige Bemerkungen über Dana machte, einen saftigen Kinnhaken verpasst. Seine Freunde und Mitschüler hatten dies bereits nach kürzester Zeit begriffen und verkniffen sich jeden Kommentar. Zweifellos tuschelten sie hinter seinem Rücken, doch Justin kümmerte es nicht. Er war so heftig verliebt wie noch nie, und was Danas runde Hüften betraf, so fand er sie unwiderstehlich anziehend, vor allem in hautengen Jeans. Ein wenig staunte er über sich selber, weil sie so gar nicht dem Typ Frau entsprach, für den er sich früher interessiert hatte – doch mit Dana war eben alles anders. Auch die Nacht war etwas Besonderes
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