Das Geflecht
glauben», meinte Traveen kopfschüttelnd. «Aber wo sollte denn in diesem Bergwerk eine Strahlungsquelle sein? Hier wurde Steinsalz abgebaut, nicht Uran oder so etwas.»
«Steinsalz …» Carolin hob die Augen vom Display und blickte den alten Mann an. Sie erinnerte sich an das wenige, was sie über radioaktive Stoffe wusste, und ihre Intuition regte sich erneut. «Das Bergwerk liegt in einem Salzstock, nicht wahr? Nutzt man nicht Salzstöcke als Endlager für radioaktive Abfälle?»
«Ja, schon», bestätigte Traveen, «weil Salzgestein eine gute Abschirmung bietet. Aber …»
«Irgendwo in Niedersachsen gibt es doch ein Salzbergwerk, in dem radioaktive Stoffe gelagert werden. Wie heißt es noch gleich?»
«Sie meinen die Schachtanlage Asse.»
«Genau! Sie musste geschlossen werden, weil es Wassereinbrüche gab und radioaktive Salzlauge austrat», erinnerte sich Carolin. «Und das Lager in Gorleben liegt auch in einem Salzstock.»
Traveen schüttelte den Kopf. «Aber dieses Bergwerk hier ist seit Jahrzehnten stillgelegt. Wenn es hier ein Lagerungsprojekt gäbe, dann wäre das bekannt. Schließlich wirft man nicht einfach irgendwelchen Müll in eine alte Salzgrube.»
«Das muss ja nicht legal und mit Wissen der Behörden geschehen sein.»
«Hm, also, wenn Sie mich fragen …»
«Ja?»
«Dann würde ich sagen, Sie haben eine ziemlich blühende Phantasie», sagte Traveen mit einem unsicheren Lächeln.
«Mag sein. Aber sprachen wir nicht vorhin im Wagen darüber, dass man sich auf seine Nase verlassen sollte? Die sagt mir, dass ich richtig liege.»
«Intuition?»
«Wenn Sie es so nennen wollen, von mir aus. Sie hatten doch selbst eine Intuition, und zwar diesen Böttcher betreffend.»
«Die kann ich aber nicht begründen.»
«Müssen Sie auch nicht», sagte Carolin und wandte sich wieder dem Display ihres Handys zu. «Jetzt testen wir einfach mal den Wert männlicher Intuition.»
«Was tun Sie?»
«Ich schlage im Telefonbuch nach. Auf dem Parkplatz beim Bergwerk stand ein dunkelblauer Mercedes mit dem Firmenlogo einer ‹Spedition Böttcher›. Das kann ja nicht schwer zu finden sein.»
Carolin gab den Suchbegriff ein und überflog die Ergebnisse. Eine großformatige Anzeige stach ihr ins Auge.
«Sieh an. Spedition Böttcher, Linden, Salzstraße 14 – 16: Internationaler Frachttransport, Güterfernverkehr, Entsorgungslogistik. Verlässlich, schnell und sicher seit 1989. Entsorgungslogistik? Ist das nicht Müllabfuhr im industriellen Maßstab?»
Traveen nickte erstaunt, fast ein wenig erschrocken. «Hören Sie: Sie sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen, nur weil mir die Nase dieses Mannes nicht passt. Ich meinte bloß …»
«Augenblick! Als ich gestern Abend hier ankam, unterhielt sich Böttcher auf dem Parkplatz mit Bringshaus – und verstummte, als er bemerkte, dass Zuhörer in der Nähe waren. Dabei fiel ein Name, der mir bekannt vorkam.»
«Ein Name – von jemandem, den Sie kennen?»
«Nein, nicht persönlich. Aber mir ist, als hätte ich den Namen schon einmal gelesen oder gehört, und zwar im Zusammenhang mit Politik … Warten Sie, ich komme drauf.» Sie schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. «Wildhauer, glaube ich.»
Sie gab den Namen ins Internet ein.
«Ewald Wildhauer, Staatssekretär, Landesministerium für Wirtschaft und Technologie.» Carolin stutzte, rief einen Online-Artikel auf und las den Text mit plötzlichem Herzklopfen. «Hier steht:
Gleichzeitig Aufsichtsrat der DEREMA-AG, die unter anderem Anlagen zur Wiederaufbereitung radioaktiver Abfälle betreibt. Aufgrund dieser Doppelfunktion zweifeln Kritiker an seiner Unparteilichkeit bei der Bewertung der Kernenergie.»
Sie blickte vom Display auf, direkt in Jürgen Traveens Gesicht, das im diffusen Licht der Taschenlampe seltsam verfremdet wirkte. «Sagen Sie es mir noch einmal: Habe ich eine blühende Phantasie?»
Traveen schwieg nachdenklich.
Carolin klickte zurück zur Anzeige der Spedition Böttcher.
Verlässlich, schnell und sicher seit 1989,
las sie abermals. Schade, das war vor ihrer Zeit. Häufig erschien ein Artikel in ihrer Zeitung, wenn ein lokales Unternehmen gegründet wurde, was zur Folge hatte, dass Carolin die meisten Betriebe in der Stadt zumindest dem Namen nach kannte. Allerdings war sie erst seit fünf Jahren beim Lindener Anzeiger. Kurzentschlossen rief sie ihr Adressbuch auf und suchte nach der Nummer ihres Vorgängers, der sie damals eingearbeitet hatte.
«Was tun
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