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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Laudan
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herauf.»
    Eine Weile mühte sich Leon keuchend, und Tia fühlte die Erschütterungen des Seils, während er sich aufwärts zog.
    «Nimm meine Hand!» Sie streckte sie so weit hinab wie möglich. Leon tastete und ergriff sie. Dann packte auch Justin zu, und gemeinsam zogen sie Leon über die Klippe, wo er auf den Rücken rollte und schwer atmend liegen blieb.
    «Alles in Ordnung?», fragte Tia und strich ihm besorgt übers Haar.
    Er nickte schwach.
    «Glaubst du, du hast noch Kraft, um mit anzupacken?»
    «Sicher.» Leon drehte sich auf den Bauch und ergriff das Seil.
    «Justin, helfen Sie uns!»
    Alle drei zogen, so fest sie konnten. Es war schwerer, als Tia erwartet hatte: Das Seil war straff gespannt und schabte auf der Klippe, was zusätzliche Reibung bedeutete.
    «Dana! Stützen Sie sich an der Wand ab! Klettern Sie, wenn es irgendwie geht!»
    «Ich versuch’s ja!», kam die gepresste Antwort. «Wenn ich nur nicht so schwer wäre   …»
    «Halt durch!», rief Justin ihr zu. «Wir schaffen das schon!»
    «Es ist alles meine Schuld   …»
    «Nein! Es ist
meine
Schuld!», widersprach Justin – und plötzlich fügte er hinzu, impulsiv und offenbar zu seiner eigenen Überraschung: «Ich liebe dich!»

••• 05   :   59 ••• JUSTIN •••
    Ein plötzlicher, greller Schmerz schnitt Justin durch Mark und Bein. Es war wie ein Blitzstrahl, ein elektrischer Schlag, der sein Gehirn erschütterte und seine Nerven brennen ließ. Reflexhaft kniff er die Augen zusammen.
    War das etwa –
Licht?
    Rasche Schritte näherten sich.
    «Wer ist da?», rief Tia.
    Justin fühlte, wie eine vierte Person das Seil packte und mit erstaunlicher Kraft daran zog.
    «Ich bin’s – Böttcher», sagte eine tiefe Stimme.
    Vor ungläubiger Überraschung öffnete Justin die Augen, schloss sie aber sofort wieder. Seit Stunden hatte er keinen Funken Licht gesehen, und nun blendete ihn der grelle Schein einer auf dem Boden abgestellten Lampe. Konnte es wahr sein? War Hartmut Böttcher hier, der alte Freund seines Vaters, wie ein vom Himmel gefallener Retter?
    Ihm blieb keine Zeit zum Staunen. Das Seil zog kräftig an, und wenige Sekunden später, als seine Augen sich endlich an das Licht gewöhnt hatten, tauchte Danas Kopf über der Klippe auf. Sie blinzelte fassungslos, als mehrere Arme sie packten und auf ebenen Boden zogen. Das zerzauste rote Haar hing ihr in wirren Strähnen ins Gesicht, und ihre Augen schwammen in Tränen. Justin schloss sie fest in die Arme und barg ihren Kopf an seinem Hals.
    «Ich dich auch», flüsterte sie nah an seinem Ohr.
    «Herr Böttcher   – Gott sei Dank!» Tia seufzte. «Sie kamen im richtigen Moment.»
    Für einen Augenblick erschien Justin die Szene seltsam unwirklich, so sehr hatte er sich daran gewöhnt, dass alle Menschen in seiner Umgebung nur körperlose Stimmen im Dunkelnwaren. Nun erkannte er Böttcher, der ihm unter einem Feuerwehrhelm freundlich zulächelte. Neben ihm erhob sich Leon, ein blonder Mann Ende zwanzig, mit kurzem Bürstenhaarschnitt und Dreitagebart. Auch Tia hatte das Seil losgelassen und war auf die Beine gekommen. Justin starrte sie verwirrt an, denn aus irgendeinem Grund hatte er sie sich anders vorgestellt, vor allem größer. Überrascht stellte er fest, dass sie mittelgroß und schmal war, mit dunklem Haar und hellbraunen Augen, die trotz ihrer Blindheit seltsam ausdrucksvoll wirkten.
    «Hallo!», sagte Dana, die sich die Tränen fortwischte und die beiden anlächelte. «Nett, Sie mal zu sehen.»
    Leon lachte. «Nett,
Sie
zu sehen. Ich ahnte gar nicht, dass Sie so hübsch sind.»
    «Nicht wahr?», bekräftigte Justin, während Dana errötete.
    «Wie haben Sie uns gefunden?», fragte Tia an Böttcher gewandt.
    «Ich hörte Schreie», erklärte Böttcher. «Wir waren gerade dabei, Ihnen entgegenzukommen – Justins Vater und ich.»
    «Also haben Sie den Höhlenausgang entdeckt?»
    «Er liegt in einer Mulde westlich des Bergs, genau wie Sie gesagt haben.»
    «Sind die Rettungskräfte auch dort?»
    «Nein, wir werden sie erst rufen müssen. Im Moment suchen sie an einer anderen Stelle.»
    «Wo ist mein Vater?», fragte Justin.
    «Ich fürchte, ich muss Sie um Hilfe bitten», sagte Böttcher, wobei er Justins Blick auswich und sich an Tia wandte. «Er ist in eine Grube gestürzt, aus der ich ihn alleine nicht befreien konnte. Aber nun sind wir ja zu fünft, und Sie haben ein Seil.»
    «Ist Bringshaus verletzt?»
    «Nicht ernsthaft, aber er steckt bis zum Bauch in

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