Das Geflecht
Geo-Radar gemacht, die auf einen natürlichen Hohlraum hindeutete. Die Daten zu seiner Ausdehnung waren allerdings unklar.»
«Wie kommen Sie darauf, dass es sich um einen Müllschacht handelt?»
«Recherche. In einer Chronik der Lindener Salzgruben heißt es, die Bergleute hätten damals ihren Abfall in solche Schächte geworfen – ausgediente Fässer, Maschinenschrott, Abraum-Erde und dergleichen. Die Höhle wurde wohl zufällig entdeckt und kurzerhand als Müllhalde genutzt.»
«Und Sie sind für die Verwahrung des Bergwerks zuständig?»
«Ja, als Gutachter der Stadtverwaltung. Die Grube wurde 1966 stillgelegt. Außer mir und den Leuten einer Baufirma, die die Leitern installiert haben, war seit fünfzig Jahren niemand hier drin. Ich sollte überprüfen, ob es irgendwo Stabilitätsprobleme oder Wassereinbrüche gab – was nicht der Fall war. Seitdem mache ich nur einmal im Jahr ein paar Messungen.Ursprünglich war geplant, die Anlage mit einer Salzlösung zu fluten, aber die Stadt konnte das Geld dafür nicht auftreiben. Also wurde beschlossen, die Stabilität des Bergwerks fünfzehn Jahre lang zu überwachen und dann den Eingangsstollen endgültig zu verplomben … in drei Jahren wäre es so weit gewesen.»
«Sie kennen sich mit Bergwerken aus?», folgerte Tia.
«Ja, ich war selbst mehrere Jahre als Vermesser in einer Salzgrube tätig. Als sie geschlossen wurde, habe ich mich als Ingenieur selbständig gemacht.»
So weit zumindest die Kurzfassung, fügte Bringshaus in Gedanken hinzu. Er war Anfang dreißig gewesen, als man ihn auf die Straße gesetzt hatte. Zwei Jahre lang hatte er von Arbeitslosengeld und schließlich von Hartz IV gelebt, bis er den verzweifelten Mut gefunden hatte, sich für die Eröffnung eines eigenen Ingenieurbüros über beide Ohren zu verschulden. Kurz darauf hatte ihn seine Frau verlassen, die es endgültig leid gewesen war, jeden Cent dreimal umdrehen zu müssen. War es ein Wunder, dass er damals, in einer so bedrückenden Situation, einen verhängnisvollen Fehler begangen hatte? Was für eine Ungerechtigkeit, dass ihn diese Dummheit ausgerechnet jetzt wieder einholte … nach so langer Zeit.
«Sind wir da?», fragte Tia, als sie die unterste Ebene erreichten.
«Kleines Stück noch», antwortete Bringshaus.
Wenige Minuten später erreichten sie den Unglücksort. Der tote Gang hinter der Abbaukammer war viel zu eng, um allen Anwesenden Platz zu bieten. Daher bat Bringshaus die Feuerwehrleute, beiseite zu treten, um Leon und Tia durchzulassen. Lediglich der Einsatzleiter und der Notarzt gesellten sich zu ihnen, und gemeinsam umringten sie die dunkle Schachtöffnung. Während Leon sein Gepäck abstellte, war Tia in die Knie gegangen, um Boden und Wände zu befühlen.
«Warum ist es hier so feucht?», fragte sie mit gerunzelter Stirn. «In ein Salzbergwerk dürfte eigentlich kein Wasser eindringen.»
«Ist mir auch unbegreiflich», sagte Bringshaus. «Die Decke muss wohl mit den Jahren brüchig geworden sein.»
«Leon? Glaubst du, wir kriegen hier überhaupt einen Haken fest?»
«Ich versuch’s», sagte Leon, zog eine Bohrmaschine aus einer der Taschen und setzte sie an der Decke unmittelbar über der Schachtöffnung an. Während der Bohrer sich knirschend vorarbeitete, regneten einige kleinere Felssplitter von den umgebenden Wänden.
«Hoffentlich hält die Decke das aus», sagte Havermann skeptisch.
«Wir haben keine andere Wahl», antwortete Leon knapp, griff nach einem Spreizdübel und trieb ihn mit kräftigen Hammerschlägen in den Stein. Dann wandte er sich Bringshaus zu. «Wie lang ist der Tunnel?»
«Nach meinen Messdaten gut zwanzig Meter. Aber von der unteren Öffnung aus dürften es noch einmal zehn Meter bis zum Boden sein.»
«Nimm das Sechzig-Meter-Seil!», entschied Tia, die sich über die Schachtöffnung gebeugt hatte. «Riechst du das?»
Leon nickte, während er den Karabiner befestigte und das Seil in den Schacht hinunterließ. «Kannst du sagen, was es ist?»
«Nicht genau. Ammoniak, eine Spur Schwefelwasserstoff … Aber der dominierende Geruch ist außergewöhnlich. Irgendwie muffig, fast wie Schimmel.»
«Atemschutz?», schlug Leon vor.
«Ungern.»
Tia erhob sich, um ihren Fleecemantel abzulegen. «Unter der Maske würde ich meinen Geruchssinn einbüßen.»
«Geht diese Frau allein runter?», raunte der Notarzt dem Einsatzleiter zu. «Das ist gegen jede Sicherheitsregel.»
«Sie dürfen mich gern begleiten, wenn Sie wollen!», sagte
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