Das Geflecht
Bringshaus kopfschüttelnd. Es war sein erlesenstes Schimpfwort, ursprünglich für den Liebhaber seiner Exfrau reserviert, inzwischen jedoch auf jede Art von Schurken ausgeweitet, die über Geld und öffentliches Ansehen verfügten. «Dieser Wildhauer …»
Bringshaus verstummte, als er einen warnenden Blick seines Freundes auffing. Er wandte sich um und sah den Einsatzleiter der freiwilligen Feuerwehr eilig auf sich zukommen, begleitet von einer attraktiven Frau um die vierzig. Im ersten Moment glaubte er, es sei Tia Traveen, dann erst wurde ihm bewusst, dass sie viel zu alt war und keinerlei Ähnlichkeit mit dem Foto in der Zeitung hatte.
«Herr Bringshaus!», rief der Einsatzleiter, ein schnauzbärtiger Hüne namens Havermann. «Zwei meiner Männer sind bereit, einen Versuch zu wagen. Sie haben zwar keine Erfahrung im Schachtklettern, werden aber ihr Möglichstes tun. Am besten kommen Sie mit, schließlich sind Sie der Einzige, der sich dort unten auskennt.»
Böttcher und Bringshaus wechselten einen raschen Blick.
«Was ist denn?», drängte der Einsatzleiter. «Nun kommen Sie schon!»
«Bitte warten Sie noch!», bat Bringshaus mit gezwungen ruhiger Stimme. «Nur fünf Minuten. Die Expertin muss jeden Augenblick hier sein.»
Der Einsatzleiter machte ein halb erstauntes, halb unwilliges Gesicht. Offenbar glaubte er, Bringshaus würde an seinen Fähigkeiten zweifeln.
«Bitte!», wiederholte Bringshaus. «Ich kann nicht im mindesten voraussagen, worauf Sie sich da einlassen. Die Höhle wurde nie erforscht, und der Schacht öffnet sich in der Decke, mindestens zehn Meter über dem Boden. Wir brauchen einen Kletterprofi, glauben Sie mir.»
Der Einsatzleiter wollte etwas erwidern, doch die Frau, die sich an seine Seite gedrängt hatte, kam ihm zuvor.
«Sie sind der Ingenieur, nicht wahr?», sagte sie an Bringshaus gewandt.
«Ja. Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?»
«Carolin Frey, vom Lindener Anzeiger.» Die Frau zückte einen Presseausweis. «Was ist das für ein Experte, den Sie engagiert haben? Ich hörte einen Namen – Wildhauer, glaube ich.»
Bringshaus tauschte erneut einen raschen Blick mit Böttcher. Glücklicherweise erübrigte sich die Beantwortung der Frage, denn alle Anwesenden wandten sich um, als ein weißer Ford Transit mit Berliner Kennzeichen auf den Parkplatz einbog.
«Gott sei Dank», seufzte Bringshaus und winkte, als er erkannte, dass der Fahrer sich suchend umsah. Der Kastenwagen stoppte. Ein junger Mann mit kurzem blondem Haar stieg aus und eilte zur Beifahrertür, um einer Frau ins Freie zu helfen, die eine tiefschwarz getönte Brille trug. Dann öffnete er die Heckklappe und hob zwei schwere Ledertaschen aus dem Laderaum.
«Das gibt’s doch nicht!», raunte die Journalistin. «Sie haben Frau Traveen angeheuert?»
Bringshaus ignorierte sie und näherte sich der Frau, die wartend neben dem Wagen stand. Seiner Vorstellung von einer Wissenschaftlerin entsprach sie nicht. Eher wirkte sie wie eine Schauspielerin, die sich unter dunkler Kleidung und Sonnenbrille verbarg, um nicht von Paparazzi erkannt zu werden. Siewar jung und hatte ein auffallend ebenmäßiges Gesicht, das von halblangem, kastanienbraunem Haar umflossen war.
«Frau Traveen?» Zögernd trat er vor, streckte die Hand aus und erinnerte sich zu spät daran, dass sie es gar nicht sehen konnte. «Ich bin Jörn Bringshaus. Ich danke Ihnen, dass Sie so schnell gekommen sind.»
«Ist die Feuerwehr noch da?», erkundigte sich Tia ohne Umschweife.
«Der Einsatzleiter steht dort drüben.»
«Notarzt?»
«Wartet am Stolleneingang.»
«Dann sollten wir keine Zeit verlieren. Leon?» Der junge Mann schloss eben die Heckklappe des Wagens und trat zu ihnen, eine Tasche über der Schulter, die andere in der Hand, während er Tia den freien Arm reichte. «Leon Berner, mein Partner. Wo geht’s lang?»
«Folgen Sie mir», bat Bringshaus, wandte sich um und strebte auf den Vorplatz des Bergwerks zu. Havermann und Böttcher schlossen sich an, ebenso die Journalistin.
«Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns so schnell wiedersehen», sagte Carolin Frey im Gehen.
Tia wandte sich erstaunt zu ihr um, die Nasenflügel geweitet, wie um einen Geruch einzufangen. «Frau Frey – sind Sie das?»
«Sie haben mich erkannt?», fragte die Journalistin verblüfft.
«Kein Kunststück! Ihr Parfüm haben Sie mir ja erst vor einer halben Stunde unter die Nase gehalten.»
Die beiden kennen sich?, dachte Bringshaus alarmiert.
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