Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Laudan
Vom Netzwerk:
Stunden dauern,den Schacht wieder freizulegen   … vielleicht Tage. Sie wird dort unten eingeschlossen sein.
    «Nicht allein!», flüsterte er. «Nicht ohne mich.»
    Er dachte nicht darüber nach, ob es sinnvoll war, was er tat, nicht daran, was er ausrichten konnte, wenn sein Plan gelang, auch nicht daran, was ihn womöglich erwartete – er dachte überhaupt nichts mehr. Sein Gehirn war wie abgeschaltet.
    Justin rannte los.
    Es waren nur wenige Meter vom Eingang der Kammer bis zum toten Gang, in dem sich die Schachtöffnung befand. Justin überbrückte die Entfernung in Sekunden. Irgendjemand stieß mit ihm zusammen, doch er ignorierte es und stürmte weiter. Aus dem Augenwinkel nahm er das Gesicht seines Vaters wahr, das sich in jähem Entsetzen verzerrte.
    «Justin! Nein!»
    Irgendjemand stellte sich ihm in den Weg, doch Justin schlug einen Haken, sah das schwarze Loch der Schachtöffnung auf sich zu tanzen, nahm allen Mut zusammen und stürzte sich hinein.
    Er hatte gewusst, dass der Schacht nicht senkrecht abfiel, sondern wie eine Rutschbahn in die Tiefe führte – mit den Kräften jedoch, die plötzlich auf seinen Körper einwirkten, hatte er nicht gerechnet. Beim Hinabspringen hatte er nach dem Kletterseil gegriffen, das von einem Haken in der Decke hing, doch es war feucht vom Salzwasser, sodass es ihm durch die Finger rutschte. Mit viel zu hoher Geschwindigkeit glitt er den Schacht hinab, dessen glatte Wände keinerlei Halt boten. Dabei erhitzte sich das Seil binnen Sekunden und schnitt ihm in die Handflächen. Erschrocken ließ er es los – und nun erfasste ihn die Schwerkraft und riss ihn ungebremst in die Tiefe.
    Nein   … nein   … dumme Idee!,
schoss es ihm durch den Kopf. Innerhalb eines Augenblicks war sein wahnwitziger Mut wieweggeblasen, und die ganze Absurdität seines Plans wurde ihm bewusst. Er würde in die Tiefe stürzen wie Finn und Dana, und selbst wenn er wie durch ein Wunder unverletzt blieb, hatte seine Tat nichts Heldenhaftes: Es würde nur einen weiteren hilflosen Teenager geben, der gerettet werden musste.
    Sehr dumme Idee   …
    Erneut fanden seine Hände das Seil, und diesmal griff er so fest zu, wie er konnte, ohne Rücksicht auf den Schmerz. Ein mächtiger Ruck ging durch seinen Körper, als seine Talfahrt stoppte. Verbissen zog er die Knie an und stemmte sie gegen die Wand des Schachts. So hing er einen Augenblick in der Schwebe und fragte sich, wie lange seine Kraft dafür ausreichen würde.
    Na toll. Jetzt stecke ich hier wie ein Korken in einem Abflussrohr.
    Er wandte den Blick nach oben und erwartete, die Schachtöffnung als fernen Lichtpunkt in der Dunkelheit zu sehen – doch sie war verschwunden. Offensichtlich führte der Schacht nicht gerade, sondern kurvenförmig in die Tiefe, sodass kein Schimmer aus der erleuchteten Abbaukammer herunterdrang.
    Ich muss wieder hinauf, beschloss Justin. Alles andere ist Unsinn! Ich kann Dana nicht helfen   …
    Er versuchte, sich langsam hinaufzuziehen – und keuchte entsetzt, als er feststellte, welche Anstrengung das erforderte. Normalerweise fehlte es ihm als geübtem Handballer nicht an Kraft, doch das feuchte Seil glitt ihm ein ums andere Mal durch die Finger. Sosehr er sich auch mühte, er kam nur wenige Handbreit vorwärts.
    «Justin!», rief eine ferne Stimme von oben.
    «Hier!», brüllte er verzweifelt. «Ich hänge fest!» Das Echo seiner eigenen Stimme ließ ihn schaudern.
    «Halt aus! Ich ziehe dich hoch!»
    Einige Sekunden vergingen, dann spannte sich das Seil unter Justins Händen. Langsam setzte sein Körper sich in Bewegung – doch ein leichter Ruck genügte, um den schlüpfrigen Kunststoff erneut durch seine Finger gleiten zu lassen. Mit einem Aufschrei rutschte Justin einige Meter rückwärts und brachte es nur unter größter Anstrengung fertig, sich ein weiteres Mal festzuklammern.
    «Stopp!», schrie er den Schacht hinauf. «Stopp!»
    Das Echo verhallte, und wieder antwortete die Stimme von oben.
    «Was ist los?»
    «Das hat keinen Zweck!», schrie Justin. «Ich rutsche ab!»
    Einen Augenblick herrschte Stille.
    «Okay, bleib, wo du bist!» Justin glaubte, die Stimme zu erkennen: Es war die des jungen Mannes, der unmittelbar neben der Schachtöffnung gestanden hatte. «Ich komme runter und hole dich!»
    Justin wartete mit klopfendem Herzen, beide Hände um das Seil gekrallt.

••• 22   :   20 ••• BRINGSHAUS •••
    Während Leon sein Abseilgerät einklinkte und in den Schacht stieg, war

Weitere Kostenlose Bücher