Das Geflecht
heute wohl sagt.»
Justin schwieg. Er wusste nur zu gut, was Danas Mutter von ihm hielt. Über die Ernsthaftigkeit der Beziehung täuschte sie sich jedenfalls gründlich, denn Dana traute sich nicht, ihr die Wahrheit zu sagen. Ludmila Novak hatte keine Ahnung, dass ihre Tochter regelmäßig Ausreden vorschob, um die Nacht bei ihm verbringen zu können.
Beklommen dachte Justin an Dana, die irgendwo siebzig Meter unter der Erdoberfläche in vollkommener Dunkelheit eingeschlossen war. Was das für sie bedeutete, konnte er sich ausmalen. Er wusste, dass sie sich vor der Dunkelheit fürchtete, und erinnerte sich noch lebhaft an den Tag, als in der Diskothek im Industriegebiet der Strom ausgefallen war. Dana hatte zu schreien begonnen, und er hatte sie nicht beruhigen können, bis sie beide draußen an der frischen Luft waren. Er wusste auch, dass sie nicht einschlafen konnte, wenn nicht zumindest die Nachttischlampe brannte – selbst dann nicht, wenn er neben ihr lag und sie im Arm hielt.
«Sie hat Angst im Dunkeln.» Die Worte kamen über seine Lippen, ohne dass er es gewollt hatte. «Ich hab ihr versprochen, sie zu beschützen … heute Nachmittag noch.»
Carolin sah ihn aufmerksam von der Seite an. «Es ist also
doch
ernst. Irgendwie hatte ich das schon im Gefühl.»
Justin ignorierte ihre Bemerkung, denn er erinnerte sich an seine eigenen Worte, kurz bevor sie das Bergwerk betreten hatten. «Ich sagte, ich würde in jeden Abgrund springen, um sie zu retten.»
Carolin seufzte. «Tja … das muss wohl Liebe sein.»
Justin forschte dem Klang ihrer Worte nach, versuchte eine ironische oder gar herablassende Nuance herauszuhören – doches gelang ihm nicht. Stattdessen spürte er plötzlich, wie ihm die Kehle eng wurde.
Bloß keine Tränen!, rief er sich zur Ordnung. Nicht vor dieser Frau!
«Sie möchten jetzt allein sein, nicht wahr?», erriet Carolin. «In Ordnung, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Wenn Sie Gesellschaft brauchen, können Sie ja zu uns herüberkommen.»
Sie ließ ihn stehen, nicht ohne ihm flüchtig über den Arm zu streichen, und ging zu den Novaks zurück.
Unter gewöhnlichen Umständen hätte Justin sich bittere Vorwürfe gemacht, dass die Reporterin ihn zum Reden gebracht hatte. Im Augenblick jedoch war er zu aufgewühlt für taktische Erwägungen. Während er ihr nachblickte, kreisten seine Gedanken.
«Liebe», hatte sie gesagt. Für Justin war das ein ziemlich abstrakter Begriff, bei dessen Verwendung er sich nie ganz wohlfühlte. Das Wort wirkte auftrumpfend. «Liebe» war so was wie «Gott»: etwas, wovon alle sprachen, dem aber keiner je begegnet war. Justin hatte schon viele Freundinnen gehabt, und natürlich hatte er jeder gesagt, dass er sie liebte – die Mädchen erwarteten das, es war ein Ritual, dem man sich zu unterziehen hatte. Gedacht hatte er sich nie viel dabei. Es gehörte einfach zu den konventionellen Formeln.
Bei Dana jedoch war alles anders.
Was
eigentlich anders war, hätte Justin nur schwer benennen können, wenn man von der simplen Tatsache absah, dass ihre Beziehung schon wesentlich länger dauerte als jede andere zuvor. Dana besaß keine Ähnlichkeit mit irgendeiner ihrer Vorgängerinnen: Sie war äußerlich unauffälliger, stiller, scheuer. Dennoch hatte er vom ersten Moment an gespürt, dass er sie wollte, und mit einer Beharrlichkeit um sie geworben, die ihn selbst überraschte. Manche Klassenkameraden hatten den Kopf geschüttelt, denn sie verstandennicht, was er an ihr fand – und die Mädchen, von denen nicht wenige für Justin schwärmten, hatten sich erst recht das Maul zerrissen. Selbst Finn hatte einmal gefragt, was denn so Besonderes an Dana sei. «Okay, sie ist ganz niedlich», hatte er gesagt, «aber nicht gerade eine Stimmungskanone, oder? Und ein bisschen Abspecken würde ihr auch nicht schaden. Was ist das Geheimnis, Mann? Ist sie gut im Bett?»
Justin hatte nicht geantwortet, denn das Wesentliche konnte er Finn nicht erklären. Es entzog sich den Kategorien, die bislang ihre gemeinsame Sprache gebildet hatten. «Gut im Bett» traf es einfach nicht. Wenn er mit Dana schlief, kam es vor, dass er plötzlich innehielt und ihr in die hellen, feucht schimmernden Augen blickte, während seine Hand mit einer ihrer rötlichen Locken spielte. In solchen Momenten ahnte er, dass etwas Besonderes zwischen ihnen vorging.
«Tja … das muss wohl Liebe sein»,
hatte die Journalistin gesagt. Justin kam zu dem Schluss, dass sie wahrscheinlich
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